Konferenz "Der Buch- und Informationsmarkt in Deutschland 1990 bis 2015"

Blick zurück nach vorn

28. April 2017
von Nils Kahlefendt
Eine Konferenz der Historischen Kommission in Leipzig rückt zum ersten Mal die jüngste Buchhandelsgeschichte in den Mittelpunkt – und fragt nach Lösungsansätzen für künftige Herausforderungen.

 

So nah war die "HiKo" des Börsenvereins noch nie dran an der Gegenwart: Mit der von Klaus G. Saur und Hans Altenhein angeregten Konferenz "Der Buch- und Informationsmarkt in Deutschland 1990 bis 2015" fühlt sie der Gutenberg-Galaxis unserer Tage mit buchwissenschaftlichen Instrumentarien und gestützt auf Innensichten ihrer Akteure den Puls – nicht aus Selbstzweck, sondern um vor dem Hintergrund der jüngsten, quasi noch flüssigen Geschichte den Blick für Handlungsoptionen in Gegenwart und Zukunft zu schärfen. Ein Stück Pionierarbeit auf der Zielgeraden des Jahrhundertprojekts der "Deutschen Buchhandelsgeschichte". 

Kaleidoskopartige Gesamtschau

Lässt sich solch ein ehrgeiziges Unternehmen stemmen? Mit 17 Vorträgen und Diskussionsrunden in zwei Tagen ist das Programm, so staunte Thedel von Wallmoden, neu gewählter Vorsitzender der Historischen Kommission, von "ehrfurchtgebietender Lückenlosigkeit": Bereits am ersten Konferenztag ging es im Geschwind-Modus vom stationären Buchhandel über den Zwischenbuchhandel zu Wissenschafts-, Fach- und Publikumsverlagen; dazu nahmen die Referenten Themen wie Print on Demand, den Börsenverein und die Öffentlichkeitsarbeit für das Buch sowie die Entwicklung der Urheberrechtsgesetzgebung in den Blick. Perspektivwechsel sorgten dabei für eine kaleidoskopartige Gesamtschau. Wenn etwa de Gruyter-Geschäftsführerin Anke Beck am Beispiel ihres Hauses über Risiken und "next steps" bei Print on Demand sprach, bewegte man sich natürlich in einer Problemzone von Wissenschaftsverlagen: Wie umgehen mit der drohenden Autoren-Abwanderung zu Selfpublishern, dem Ausfallschritt nach Asien oder Amerika unter Beibehaltung der gewohnten Qualitätsmerkmale, mit dem voll entbrannten Preiskampf? Aufgrund der zeitlichen Limitierung konnte vieles nur angerissen werden; umso erfreulicher, dass ein geplanter Tagungs-Band für die nötige Vertiefung sorgen wird.

 

"Die fetten Jahre sind vorbei"

In den vergangenen 25 Jahren haben digitale Innovationen, neue, nicht selten branchenfremde Player und veränderte Rezeptionsgewohnheiten enorme Bewegung in die klassische Publikationslandschaft gebracht. Der von der Digitalisierung und dem Flächenwettlauf der Filialisten in den frühen Nullerjahren gerupfte Buchhandel hat dem Medienumbruch vergleichsweise gut gemeistert, auch wenn heute nur noch jedes zweite Buch stationär verkauft wird. Doch wie geht es weiter? "Die fetten Jahre sind vorbei", meint Heinrich Riethmüller, Geschäftsführer der Osianderschen Buchhandlung (Tübingen). Der stationäre Handel müsse sich auf zurückgehende Kunden-Frequenzen in den Innenstädten und ein in der Fläche tendenziell schrumpfendes Buchhandlungs-Netz einstellen; Amazon werde auch in Deutschland ins stationäre Geschäft einsteigen. Doch der Börsenvereins-Vorsteher ist bei aller Skepsis schon qua Amt Optimist – wenn es denn gelingt, sich auf das veränderte Einkaufsverhalten einzustellen, weniger zu "verwalten" als vielmehr offener auf die Kunden zuzugehen, eine "neue Aufenthaltsqualität" in den Geschäften zu schaffen, den Schulterschluss mit anderen Einzelhandels-Sparten und der Politik zu suchen.

Ein Vierteljahrhundert im Zeitraffer

Thomas Bez, langjähriger Geschäftsführer von Umbreit, entfaltete die Entwicklung des Zwischenbuchhandels von der Aufbruchsstimmung der Wendezeit mit ihrer letztlich illusionären Hoffnung auf eine Wiederherstellung des "Leipziger Platzes" bis zur dezentralen Gegenwart, in der sich längs der A 4 zwischen Bad Hersfeld und Erfurt verteilt, was einst die Kapitale des deutschen Buchhandels ausmachte. Klaus G. Saur, der wohl zu allen Themen der Tagung hätte sprechen können können, beschränkte sich auf ein Heimspiel - eine fakten- wie pointenreiche Tour de force durchs letzte Vierteljahrhundert deutscher Wissenschafts- und Fachverlage. Obwohl die massive Reduktion der Herstellungskosten heute die Publikation von Büchern erlaube, die man "vor 10 Jahren noch ablehnen musste", seien Umsatzsteigerungen hier inzwischen fast nur noch durch Zukäufe zu erreichen. Auf Blicke in die Glaskugel verzichtete Saur wohlweißlich: "Schließlich waren auch alle früheren Prognosen zum Anteil der E-Books am Gesamtmarkt falsch." 

Thomas Wilking, Chefredakteur des "Buchreport", fokussierte in seinem Vortrag zur Entwicklung der Publikumsverlage (besser: "Publikums-Programme") wichtige Format-Innovationen (Hörbuch, Paperback, E-Book) und Segmente. Interessante These: Der Hype um Fantasy-/All age-Titel – "ein Spezifikum der jüngeren Entwicklung" – habe partiell von der "langfristig kritischen Entwicklung des stationären Buchhandels" abgelenkt.

Access statt Assets

Wohltuend unaufgeregt, dabei hochspannend auch die Ausführungen von Christian Berger zu den Entwicklungen beim Urheberrecht. Mit dem Leipziger Lehrstuhlinhaber für Bürgerliches Recht, Zivilprozess- und Urheberrecht hatten die Tagungs-Organisatoren einen Fachmann geladen, der nicht "Partei" ist. Berger skizzierte den Prozess der "Verrechtlichung" der Digitalisierung, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten im Urheberrecht gravierende Spuren hinterlassen hat. Zu beobachten sei dabei allerdings, neben der wachsenden Zahl derer, die mitreden wollen, eine Verschiebung der Gewichte: Die Diskussion werde weniger von den Eigentumsrechten an Werken als vielmehr von der Frage nach dem Zugang zu Werken geprägt – "Access statt Assets".  Natürlich wurde der Rechts-Professor auch auf das geplante Urheberrechts-Wissensgesellschaftsgesetz angesprochen, mit dem die Bundesregierung noch in der laufenden Legislaturperiode den Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen, Lehr- und Lernmedien neu regeln will. Dem aktuellen Referentenentwurf fehle es an der Vorstellung für die Art und Weise der Generierung von Wissen. Und: "Es ist keine Legitimation für Schranken, wenn die Politik bei der Ausstattung von Schulen und Unis Geld sparen will." Auf Seiten der Politik sieht Berger indes wenig Verständnis für den Verleger-Standpunkt: "Der Zug wird sich nicht aufhalten lassen."


Disruptive Prozesse

Als Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, 2005 am Großen Hirschgraben einzog, war er geschockt über die "Untergangs-Sehnsucht" einer Branche, die lieber nach dem endgültigen Sterbedatum des gedruckten Buchs fragte, als in der Digitalisierung eine Chance zu sehen. In den letzten zehn Jahren hat sich das Bild entschieden gewandelt, Verbandsreform, Multichannel-Strategie, stabile Zahlen. Doch zum selbstgerechten Auf-die-Schulter-Klopfen sieht Skipis keine Veranlassung: "Es werden weiterhin extrem disruptive Prozesse auf uns zukommen, auf die wir vorbereitet sein müssen. Wir brauchen mentale Offenheit für das, was kommt; wir werden noch stärker interdisziplinär arbeiten, neue Mitglieder aufnehmen müssen." Es geht nicht um business as usual, klein-klein, sondern ums Ganze. "Wir sind nicht die, die Papier bedrucken. Sondern eher die, die gesellschaftliche Prozesse anstoßen."