Kommentar zu E-Books und Büchern

Hochfliegende Prognosen

16. August 2017
von Börsenblatt
Die Zahl der E-Book-Käufer sinkt. Börsenblatt-Redakteuer Michael Roesler-Graichen kommentiert die abgesagte Revolution im Gutenberg-Universum.

Knapp zehn Jahre liegt es zurück, dass das E-Book mit lauten Medien-Fanfaren als das revolutionäre Trägermedium für Buchinhalte begrüßt wurde, mit dem ein neues, ­digitales Lesezeitalter anbricht. Auch das Börsenblatt konnte sich diesem Hype nicht entziehen. Im Sommer 2017 muss man feststellen: Alle hochfliegenden Prognosen, die elektronischen Büchern in Deutschland einen Marktanteil von 15 Prozent und mehr voraussagten, sind nicht eingetroffen. Der Umsatzanteil von E-Books am Publikumsmarkt stagniert derzeit bei 5,4 Prozent, und die Zahl der deutschen E-Book-Käufer – das ist der fast schon alarmierende Befund – beträgt nur noch 2,5 Millionen. Im Gesamtjahr 2015 waren es noch 3,9 Millionen!

"Alle hochfliegenden Prognosen für E-Books sind nicht eingetroffen."

Was ist passiert? Offenbar haben sich mehrere sehr unterschiedliche Lesemilieus herausgebildet: eine kleinere Gruppe von Viellesern, die das elektronische Lesegerät wegen seiner Praktikabilität schätzen und bei sinkenden Durchschnitts­preisen mehr E-Books als zuvor kaufen. Hybridleser, die je nach Lesesituation analog oder digital lesen. Smartphone-Nutzer, die zwar ständig Texte – etwa in Blogs oder Onlineportalen – lesen, aber keinen Cent für ein E-Book ausgeben würden. Und schließlich die »klassischen« Printleser, die das gedruckte Medium wegen seiner sinnlichen und emotionalen Qualitäten lieben. Die Stärke der über ein halbes Jahrtausend alten Kulturtechnologie Kodex liegt wahrscheinlich gerade darin: in der Synthese kognitiver, psychomotorischer und emotionaler Prozesse, die das Lesen zu einem, Verzeihung, ganzheitlichen Erlebnis machen. Dafür nehmen, wie eine Studie von YouGov gerade ergeben hat, 76 Prozent aller Urlauber schwereres Reisegepäck in Kauf. Ist das E-Book damit erledigt? Nein, sicher nicht. Aber die »Gutenberg-Elegien«, die Sven ­Birkerts vor 20 Jahren anstimmte, waren vielleicht doch verfrüht.