Kommentar von Ulrich Störiko-Blume

"Literat, bleib bei deinen Leisten!"

30. März 2010
von Börsenblatt
Nicht der deutsche Buchhandel, sondern die Verlage sind gefährdet, meint Ulf Erdmann Ziegler – und ruft die Produzenten auf, ihre eigene Konzernbuchhandlung zu gründen. Dass der Zieglersche Schuss leicht nach hinten losgehen kann, belegt der Boje-Verleger Ulrich Störiko-Blume. Lesen Sie hier sein Zehn-Punkte-Papier und weitere Meinungen aus der Branche zum "Gegenkonzern".

1. Das Motiv für Zieglers Aufruf ist verständlich und sympathisch, sofern es zutrifft, dass sich die großen Buchhandelsketten auch bei uns auf etwa folgende Kurzformel bringen lassen: Hohe Rabatte + Zusatzforderungen + einseitige Konzentration auf ausgewählte Spitzentitel + zentralistischer Wahn + Ausdünnung des Personals + Ersetzen von Buchhändlern durch beliebige Verkaufskräfte + strategisches Verdrängen des einheimischen Buchhandels.

2. Das ist furchtbar und ärgerlich, aber die Verlage müssen damit umgehen – durch eine Kombination aus Verweigerung unverschämter Forderungen und Kooperation sowie durch nicht nachlassende Unterstützung des kleinen und mittleren Buchhandels, sofern dieser nicht grummelnd die Zukunft verschläft.

3. Im Selbstverständnis der Branche ist das System herstellender und vertreibender Buchhandel etwas völlig anderes als jeder andere Wirtschaftszweig, aber Handelskonzerne wie Douglas/Thalia sorgen dafür, dass da ein Stück (unangenehmer) Normalität einzieht. Der Aufruf zur Bildung eines Gegenkonzerns erinnert an den Aufruf zur Zerschlagung der Konzerne in der allgemeinen Wirtschaft, der vor Jahrzehnten verbreitet zu hören war. Niemand liebt es, wenn Große und Mächtige ihre Macht ausnutzen – und gewiss müssen und wollen und können die Kleinen sich dagegen zur Wehr setzen.

4. Bei Zieglers "weitgehendem Vorschlag" wird die Leistung der nach wie vor unabhängigen Buchhändler nicht gewürdigt: die kleinen Vorstadtbuchhändler, die taffen lokalen Platzhirsche und die regionalen Meister wie Osiander oder Ruprecht. Ja, sie müssen Marktanteile an die Ketten und an Amazon abgeben, aber noch bedienen sie doch die Mehrheit des Marktes! Und die Verlage sind gottfroh, dass es sie noch gibt. Auch sehr große Verlagsgruppen wie Random House lieben die großen Ketten nicht wegen der gemeinsamen Eigenschaft Größe, sondern müssen sich auch gegen zu große Begehrlichkeiten wehren und sind insofern ein wichtiger Faktor der Verlags-Gegenmacht; zugleich gehen sie sehr differenziert mit dem kleineren Buchhandlungen um.

5. 50 bis 100 herrliche literarische Verlage, die großenteils untereinander im fruchtbaren Wettbewerb stehen, sollen plötzlich eine gemeinsame Unternehmung gründen? Wer in den Verlagen soll denn diese Arbeit machen? Und wer soll das finanzieren? Steckt da nicht letztlich eine tiefe Angst vor dem Markt dahinter, eine versteckte Sehnsucht nach Marktregulierung? Wir sollten mal die ostdeutschen Kollegen fragen, ob sie sich die VEB-Zeiten zurückwünschen.

6. Als Thalia richtig groß wurde, bildete sich der Gegenkonzern DBH. Deshalb gibt es wenigstens Konkurrenz unter den Giganten. Ein weiterer Gegenkonzern würde das System nicht verändern. Vermutlich müsste er seine Größe durch ähnliche Methoden erkämpfen, die jetzt kritisiert werden. Die Methodik der wünschenswerten Gegenbewegung sollte nicht eine neue Konzernbildung sein, sondern Kooperation, Austausch, Service und Beratung, Kundennähe.

7. Die gemeinsame Basis dieses erträumten Konzerns ist die Vielfalt. Die Formel, um ein Unternehmen aus dem Boden zu stampfen (sic!), wird sich finden lassen, sagt Ziegler. So einfach ist das. Haben wir doch gesehen: Yes, we can! Literat, bleib bei deinen Leisten!

8. In den am meisten fortgeschrittenen Märkten wie USA und GB wird erwogen, ob die großen Buchhandelsketten nicht Verleger werden sollen – dann wäre der Handel diese sperrigen Partner endlich los. Achtung, der zieglersche Schuss kann also nach hinten losgehen.

9. Zum Glück sind die großen Verlage bei uns nicht im Buchhandel engagiert. Man stelle sich vor, Bertelsmann wandelte seine Club-Filialen in Buchhandlungen um. Dort hat man einen viel zu großen Respekt vor dem Geschäftsmodell Buchhandlung, als dass man dies ernsthaft erwägen würde. In Italien, so wird berichtet, sortieren die Ketten-Buchhandlungen ihr Angebot zunehmend nach der Konzernzugehörigkeit der Verlage – ein manipulatorischer Albtraum.

10. In Köln sollen wir nach Ziegler in Zukunft bei KiWi kaufen und in Berlin bei Suhrkamp. Gut gelernt, gestern hätte die Suhrkamp-Buchhandlung ja noch in Frankfurt stehen müssen. Darf Eichborn das jetzt übernehmen? Oder Campus? Und die armen Düsseldorfer? Müssen die jetzt umlernen, wo es dort keine Patmos-Verlagsgruppe mehr gibt? Zum Disney-Store kam der Lego-Store und der Apple-Store – glaubt irgendjemand ernsthaft, dass Holtzbrinck von so etwas träumt oder gar heimlich daran arbeitet? Wird es bald einen dtv-Shop neben der Nespresso-Bar geben? Mit Marken kann man Marken-Stores füllen, aber Verlage sind eben nur sehr bedingt Marken – wenn gut gearbeitet wird, gelingt ein markiges Programm.

Weitere Meinungen zum "Gegenkonzern":

"Ich halte das nicht für praktikabel ­ wie soll man das aufziehen und wie finanzieren ­ und auch nicht für wünschenswert. Die Verlage sollten stattdessen intensiver mit dem unabhängigen Buchhandel kooperieren und das heißt, ihn in seiner lokalen Identität stärken. Das Angebot des mittelständischen Sortiments ist in der Summe der Läden vielfältiger als eine von Verlagen initiierte Kette, die doch wohl zentralistisch organisiert sein müsste und die damit von Thalia gar nicht so verschieden wäre."Jürgen Christian Kill, Verlagsbuchhandlung Liebeskind

 "Solche Überlegungen gibt es immer mal wieder, Siegfried Unseld war einer, der darüber früh nachgedacht hat. Wahrscheinlich lässt sich diese schöne dee aber auch weiterhin nicht realisieren, weil die Verlage einfach nicht zusammenzubringen sind." Rainer Weiss, Weissbooks

 "Eine schöne, sympathische Idee, aber nicht durchführbar. Verlage haben erstens anderes zu tun, als einen Buchhandelskonzern auf die Beine zu stellen – und würden zweitens in Konkurrenz zu ihren Kunden treten, den Ketten und auch den unabhängigen Sortimenten. Ziegler hat die Problematik richtig erkannt, seine Lösungsvorschläge lassen sich aber nicht verwirklichen. So funktioniert Wirtschaft nicht. Flagship-Stores? Wie langweilig! Mit unseren 5plus-Initiative versuchen wir genau das Gegenteil; Motto: Nur die Breite ist Spitze. Kurzum: Die Idee unterhält beim Frühstück, reicht aber nicht bis zum Nachmittag."Michael Lemling, Buchhandlung Lehmkuhl, München (Kooperation: 5plus)

 "Da spricht ein Autor, ein Kunde. Aus dieser Perspektive lässt sich nachvollziehen, worum es ihm geht. Realistisch ist sein Vorschlag aber nicht – und auch gar nicht notwendig. Warum sollten Verlage das tun? Die Struktur ist doch längst da: Im Grunde schlägt jetzt die Stunde des unabhängigen Buchhandels. Aber noch ein Aspekt: Künftig werden schlagkräftige, kleine Einheiten überleben. Das können unabhängige Buchhandlungen sein – oder auch Filialen. Denn darauf kommt es nicht an. Kunden entscheiden heute mit den Füßen. Wenn sie im stationären Sortiment nur noch Mainstream finden, werden sie sich abwenden – inRichtung Internet."
Ursula Rosengart, Gabal Verlag

"Ist das Satire oder meint es Ulf Erdmann Ziegler ernst? Für mich sieht das nach einem Sturm im Wasserglas aus. Zieglers Theorie geht an der Praxis völlig vorbei. Denn es existiert ja schon ein Gegengewicht zu den großen Elefanten: die vielen kleinen, unabhängigen, engagierten Sortimenter. Daraufdürfen sich Verlage gern wieder zurückbesinnen."

Thomas Gralla, Buchhandlung Gralla, Berlin