Jörg F. Maas zur Kooperation der Stiftung Lesen mit Aldi Süd

"Unser Mandat ist nicht die Verkaufsförderung"

12. August 2015
Redaktion Börsenblatt
Dass es Bücher nicht nur im Buchhandel gibt, daran haben sich die Sortimenter gewöhnen müssen. Aber eine Kooperation der Stiftung Lesen mit Aldi?  Viele Buchhändler ärgern sich. Jörg F. Maas, Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen, erklärt, warum die Leseförderer Aldi ins Boot geholt haben.

Warum kooperiert die Stiftung Lesen mit Aldi? Wir glauben, dass wir dort viele Menschen mit Büchern in Kontakt bringen, die noch keine Buchhandelskunden sind. In Deutschland leben 7,5 Millionen funktionale Analphabeten, also Leute, die nicht richtig lesen und schreiben können. Laut PISA hat ein Siebtel der 15-Jährigen Defizite beim Schreiben und Lesen. Diese Menschen sind weit davon entfernt, ein Buch überhaupt in die Hand zu nehmen. Leseförderung in Deutschland ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der alle Teile der Gesellschaft, also Politik, Prominenz, Unternehmen, Verbände, die Schulen, die Kitas und natürlich auch Bibliotheken und der Buchhandel eine wichtige Rolle spielen.

Sie verstehen die Aufregung im Buchhandel nicht, weil die Aldi-Kunden nach ersten Kontakten mit Büchern bei Aldi in die Buchhandlungen gehen? Ist das Ihre Annahme? Das ist zumindest die Vision, die wir haben. Viele unserer Aktionen zielen genau darauf ab. Beim Welttag des Buches etwa bringen wir gemeinsam mit Partnern alle 4. und 5. Klassen in Deutschland dazu, in die Buchhandlung zu gehen und sich dort mit dem Buchhandel vertraut zu machen und ihn als den Ort kennenzulernen, wo man Bücher kennenlernt und kauft.

Was hat Aldi Süd motiviert, Mitglied im Stifterrat zu werden? Das Unternehmen ist überzeugt davon, dass Bildung mit Lesen beginnt und Lesekompetenz damit auch der Schlüssel dafür ist, in Zukunft Fachkräfte in Deutschland auszubilden und zu gewinnen.

Wird Aldi jetzt noch mehr Buchaktionen machen und mehr Bücher verkaufen als vorher? Das weiß ich nicht. Wir fungieren ja nicht als verkaufsfördernde Maßnahme. Aldi verkauft schon seit vielen Jahren Bücher. In der Tat wurden wir gefragt, wie die Qualität dieser Bücher verbessert werden kann. Wir beraten Aldi Süd anhand unseres Kriterienkatalogs zur inhaltlichen, gestalterischen und lesedidaktischen Qualität.

Ist es richtig, dass Aldi künftig seine Bücher mit einem Gütesiegel ausstatten kann? Und dass für das Siegel bezahlt werden muss? Auf den Büchern, die unseren Kriterien entsprechen, steht „ Unterstützt von der Stiftung Lesen". Aldi Süd zahlt dafür kein Geld. Das wäre weder professionell, noch nachvollziehbar, noch lauter.

Bei Aldi gibt es dann also richtig gute Bücher und das sicher auch noch sehr preiswert. Möglich, dass auch Buchhandelskunden dann zuerst bei Aldi schauen, was es so gibt? Wir nutzen die Zugangswege, die Aldi bietet. Und wir sind überzeugt davon, dass wir dort viele Menschen erreichen, die noch nicht in Buchhandlungen gehen, ihren Kindern aber vielleicht ja trotzdem Bücher vorlesen wollen. Das nutzen wir, indem wir auf den Büchern sichtbar sind. Wir wollen die Menschen dort mit Büchern vertraut machen, wo sie am wenigsten damit rechnen, unter anderem auch im Lebensmitteleinzelhandel. Das ist für uns die Chance, dem Ziel näher zu kommen, dass wir allen Menschen in Deutschland Freude am Lesen vermitteln.

Kinder können dank der ständigen Buch-Aktionen bei McDonalds, Aldi usw. gar nicht auf die Idee kommen, dass es Buchhandlungen gibt, befürchten manche Sortimenter. Die Grundannahme ist falsch. So oder so kennen viele Menschen den Buchhandel noch nicht gut genug, das zeigen ja die oben genannten Zahlen der funktionalen Analphabeten sehr deutlich. Auch ein Welttag des Buches kann kein komplettes Verhalten ändern. Was wir erreichen wollen ist, dass viele Kinder Kontakt zum Buch haben, dass sie Erstkontakt zum Buch bekommen und zwar sehr niedrigschwellig und dort, wo sie sowieso schon regelmäßig einkaufen gehen. Ultimativ sollen sie natürlich auch den Weg in die Buchhandlungen finden und zwar viel stärker, als es in den letzten Jahren trotz der verschiedenen Kampagnen und Maßnahmen der Fall war.

Könnte die Stiftung sich nicht eine Aktion ausdenken, bei der die Menschen bei Aldi vielleicht kein komplettes Buch, sondern nur ein Kapitel bekommen? Den Rest gibt es in der Buchhandlung…
Die Idee ist aus Sicht des Buchhandels ganz sicher nicht falsch. Aber ehrlich gesagt, das ist eine Aufgabe, die der Buchhandel mit Aldi direkt besprechen sollte. Unser Mandat ist nicht die Verkaufsförderung für Aldi oder den Buchhandel, sondern die Leseförderung in Deutschland. Wenn der Börsenverein da Möglichkeiten sieht, stehen wir aber nicht im Weg, ganz im Gegenteil.

Interview: Sabine Schwietert

Hier geht es zur Meldung über die Kooperation.