Interview zum Börsenvereins-Wettbewerb "Arena Digital"

Designer Werner Aisslinger: "Berühren werden Geschichten"

16. Juli 2015
von Nils Kahlefendt
Auch Digital Natives brauchen gegenständliche Welten: Der Berliner Designer Werner Aisslinger, Juror beim Forum-Zukunft-Wettbewerb "Arena digital", über harte Zeiten für Bücherregale, den Erlebnischarakter von Produkten und Gestaltung als Storytelling.

Ein Baumaschinenverleih im Vorderhaus, daneben ein Getränkehandel. Das Studio von Werner Aisslinger befindet sich in einem mittlerweile alleinstehenden Gewerbehof, der wie ein vergessenes, trashiges Stück Uraltberlin wirkt, nur einen Steinwurf vom Hauptbahnhof entfernt. In den nächsten Jahren soll hier die schicke neue "Europa City" emporschießen.

Aisslinger gehört zu den Stars der Designbranche, einige seiner Möbelentwürfe haben es bis ins New Yorker MoMA geschafft. Aber er hat auch Spaß am Unbekannten, am Experiment: Ein Stuhl, den man quasi mit Pflanzen züchtet, Stoffe als Hausverkleidung, ein Wohnmodul, das auf Hausdächern andocken kann? Das alles hat er gestaltet. Die weitläufige Fabriketage ist vollgestopft mit Prototypen für Möbel und Gebrauchsgegenstände; neugierig fällt der Blick auf Architekturmodelle und Entwurfszeichnungen. Ein Düsentrieb-Labor, das auch dem Chef manchmal zu eng wird. "Aber ich kann nichts wegwerfen", so Aisslinger über Aisslinger: "Ich bin ein Sammler."

Herr Aisslinger, nicht nur, wenn IKEA Veränderungen am "Billy"-Regal ankündigt, gehen in Deutschland die Alarmglocken an: Als der Möbelhersteller Interlübke, für den Sie auch tätig sind, ein Aufbewahrungssystem namens "bookless" auf den Markt brachte, wurde gar das Aussterben des guten, alten Bücherregals befürchtet. Haben Sie als Designer manchmal Sorge vor einer Zukunft, in der niemand Sie mehr bittet, ein Bücherregal zu gestalten?

Werner Aisslinger: Auch Möbel-Typologien haben ihre Lebens-Zyklen, es gibt Hochphasen und schwierigere Zeiten. Selbst CD- oder DVD-Regale befinden sich ja tendenziell auf dem Rückzug, weil die Leute ihre Musik und ihre Filme mittlerweile auf Festplatten archivieren. Ich würde nicht vom Verschwinden reden, aber Regale, Sammelmöbel insgesamt tun sich derzeit schwerer.

Bei "bookless" wurde das Regal als eine Art "Schaukasten" verstanden, ein Stauraum nicht für Bücher, sondern für Objekte, Andenken, die sich im Laufe eines Lebens ansammeln und die man seinen Besuchern vorführt. Eine Neuinterpretation des Prinzips der barocken Wunderkammer, die schon etwas über gewandelte Werte aussagt. Bei Bildungsbürgern wird die repräsentative Bücherwand natürlich überleben. Und wer wie ich auf Reisen ein Drittel seines Koffers mit Büchern vollstopft, braucht immer ein Regal.

Zu Ihren Projekten gehört die Installation "books" – ein System, bei dem sich jeder aus Metallkreuzen und altem Lesestoff sein eigenes Regal bauen kann. Ein Statement?

Aisslinger: Ich wollte mehrere Gedankengänge zusammenführen. Zum einen den des Self-Feeding-Systems: Je mehr ich lese, desto mehr Stauraum brauche ich. Wenn ich den aus den Büchern selbst bilde, habe ich praktisch ein sich selbst "fütterndes" System. Dann ging es um Customization, ein Thema, das die Designbranche schon lange umtreibt: Jeder kann sich die Bücher aus dem Keller oder vom Flohmarkt um die Ecke holen – und sich  so ein Unikat-Regal bauen, das in jedem Land, in jedem Sprachbereich ganz anders aussehen wird.

Das dritte Thema ist Recycling: Warum schwere Spanplatten zusammenschrauben, wenn Bücher auch eine Menge aushalten? Sie liegen rum, man traut sich nicht, sie wegzuwerfen, weil man sie von der Oma zur Konfirmation bekommen hat: "Olympia 1978" oder "Die Wunder der Erde". Die werden nun nicht zerstört, nur eingeklemmt, und können danach wieder gelesen werden.

Hat sich ein Hersteller für die Idee interessiert?

Aisslinger: Nils Holger Moormann, der selbst mit tausenden Büchern lebt und deswegen auch so viele Buch-Themen und Regale in seiner Kollektion hat, wollte das unbedingt realisieren. Die Stahlverbinder haben sich jedoch als relativ teuer herausgestellt, und Moormann wollte diese Teile, entsprechend seiner local-sourcing Markenphilosophie, nicht 10.000 Kilometer durch die Landschaft schaukeln, auch wenn sie irgendwo in China billiger herzustellen sind. Aus diesen Kostenproblemem resultierend ist die Sache dann eingeschlafen, leider.

Ob schöne, neue Arbeitswelt oder Ihr mobiler Wohnwürfel Loftcube – Sie haben sich immer für soziokulturelle Veränderungen und die daraus resultierenden Konsequenzen fürs Design interessiert. Wenn heute zunehmend Software die Hardware ersetzt: Ist das nicht ein Grundproblem für einen Gestalter?

Aisslinger: Das Berufsbild des Hardware-Designers, der dreidimensionale Welten bearbeitet, ist nicht unbedingt ein exponentiell wachsender Bereich. Andere Branchen mögen schneller wachsen. Aber auch Digital Natives führen noch eine analoge Existenz, haben Arme und Beine, müssen irgendwo sitzen und essen, brauchen gegenständliche Welten. Und genau so, wie es immer einen Bäcker und immer einen Metzger geben wird, wird es immer einen Designer geben, der diese Welten entwickelt und sich ausdenkt.

Als Designer läuft man oft Gefahr, zum bloßen Zahnrädchen in der  industriellen Verwertungskette zu werden. Ich versuche, Design auch als Kulturdisziplin zu sehen. Gestalter sind nicht nur Auftrags-Abwickler, sondern auch Leute, die Ideen für Übermorgen generieren oder Utopien zur Debatte stellen – ohne kommerziellen Verwertungsdruck.

Der Erlebnischarakter von Produkten ist heute womöglich genau so wichtig wie ihre funktionellen, technischen Eigenschaften?

Aisslinger: Auch im Design gibt es ja Evolutionsstufen. "Form follows function" ist eine Basis, die es seit 100 Jahren gibt. In den 90ern hat man von "form follows emotion" gesprochen, in den letzten zehn Jahren sind unter dem Slogan "form follows material" Produktionsmethoden stärker in den Blick gekommen: Dinge werden nachhaltiger, ökologischer, leichter zu recyceln. Der nächste Schritt, den Design aus meiner Sicht gehen sollte, ist Storytelling. Man muss Objekte oder Räume narrativ so aufladen, dass sie eine eigene Qualität bekommen.

Es leuchtet nicht ein, ein altes Produkt einfach durch ein neues zu ersetzen – dazu sind die Leute zu schlau. Designobjekte müssen versuchen, Geschichten zu erzählen. Oder Bezüge zu Geschichten herstellen. Man kann Produkte auch über eine narrative, wenn Sie wollen: poetische Idee entwickeln. Ich glaube, dass künftig die Produkte spannend sein werden, die den Konsumenten berühren. Und berühren werden Geschichten.

Es geht Ihnen dabei aber nicht um eine simple Verkaufs-Story?

Aisslinger: Bei einem unserer jüngsten Projekte, dem 25hours Hotel in Berlin, haben wir den Empfangs-Counter mit den Original-Fliesen des U-Bahnhofs Alexanderplatz von 1924 belegt – damals ein Ankunftsort für Immigranten aus aller Herren Länder. Wir haben den historischen Ankunftsort auf subtile Weise in einen heutigen transformiert. Und damit ganz reale Bezugslinien hergestellt zu Berlin und dem Konzept des Hotels. Genau so verstehe ich Storytelling − nicht als Kulissenbau à la Disney World.

Ihre letztjährige Ausstellung im Berliner Haus am Waldsee hieß  "Home of the Future" − haben Sie auch eine Vorstellung von der Buchhandlung der Zukunft?

Aisslinger: Ich bin noch nie gefragt worden, aber das wäre eine interessante Herausforderung. Als ich in München studierte, fand ich die Hugendubel-Leseinseln immer sehr eigen. Die Leute aus dem Shopping-Kontext rauszureißen und einfach zu sagen: Setz’ dich mal hier aufs Sofa und kuck' dir die Sachen an − das hatte schon was.

In Zeiten des Online-Shoppings flieht der Handel aus der Fläche – dabei könnten doch Buchhandlungen perfekte Storytelling-Orte sein?

Aisslinger: Stimmt, das Buchbestellen im Netz ist eine sehr anonyme und nüchterne Sache. Die Frage wäre: Wie kann man Themen reinbringen in den Buchhandel, die den Ort vitalisieren und magnetischer machen − dass die Leute sowieso dahin kommen. Weil da Dinge passieren, reale soziale Kontakte und Networks, die man im Internet nicht geboten bekommt. Ein schöner Coffee-Shop allein wird nicht reichen.