Interview zu kommunalen Schulbuchausschreibungen

"Dezentrale Budgets sind wünschenswert - und weniger risikoanfällig"

22. Mai 2017
von Börsenblatt
Die Stadt München darf kleinere Buchhandlungen bei Schulbuchausschreibungen nicht von vorneherein ausschließen – das hat eine Nachprüfung vor der Vergabekammer Südbayern ergeben. Rechtsanwalt und Vergabespezialist Wiland Tresselt über einen Vergleich, der Folgen für Kommunen und Buchhändler hat. Und der auch das übliche Losverfahren ins Wanken bringen könnte.

Für den Börsenverein in Bayern haben Sie gerade einen Vergleich mit der Stadt München ausgehandelt: Die Kommune schreibt die Schulbuchaufträge neu aus – und gibt jetzt nicht mehr vor, dass Buchhandlungen ein bestimmtes Umsatzvolumen vorweisen müssen, wenn sie sich um ein Los bewerben wollen (mehr dazu hier). Warum hat sie solche Mindestanforderungen beim Umsatz überhaupt gestellt?

In letzter Konsequenz ist uns das in dem Verfahren auch nicht richtig klar geworden. Im Vorfeld der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer hatte sich die Stadt zunächst auf eine zwingende, nicht näher benannte Anforderung durch das neue Vergaberecht gestützt. Dieses Argument konnte jedoch schnell entkräftet werden, denn eine solche Anforderung  gibt es nicht. Außerdem hat die Vergabekammer völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die Stadt ja auch vergangene Schulbuchausschreibungen ohne solche Mindestanforderungen durchgeführt hat - ohne deshalb schlechte Erfahrungen mit einzelnen Händlern gemacht zu haben. Am Ende ist die Stadt eine Antwort schuldig geblieben.

Wollte die Stadt kleinere Buchhandlungen auf diese Weise bewusst ausschließen?

Dahinter steckt sicher kein böser Wille. Der Stadt dürfte es eher darum gegangen sein, Prüf- und Koordinierungsaufwand zu vermeiden. Deshalb hat sie fünf große Lose mit einem Volumen zwischen 650.000 und 1,5 Millionen Euro gebildet – und die Vorgabe gemacht, dass Händler eine bestimmte Umsatzgröße vorweisen müssen, wenn sie sich bewerben wollen. Und genau dieser Haltung ist die Vergabekammer jetzt sehr klar entgegengetreten. Sie hat deutlich gemacht, dass die Kommunen bei ihrer Auftragsvergabe den Mittelstand berücksichtigen müssen.

Wissen die Kommunen vielleicht gar nicht so genau, was erlaubt ist und was nicht?

Das ist in der Tat immer wieder zu beobachten. Die Kommunen wollen auf Nummer sicher gehen, wollen etwas haben, das sie in den Akten dokumentieren können - und schießen dabei manchmal über das Ziel hinaus. Prinzipiell erlaubt das Vergaberecht natürlich die Vorgabe eines Mindestumsatzes. Die öffentliche Hand ist ja auch aus gutem Grund dazu verpflichtet, Eignungsnachweise zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und zur Fachkunde der interessierten Unternehmen abzufragen. Schließlich geht es, etwa im Baugewerbe, um enorme Summen. Aber über allem steht der prinzipielle Grundsatz, dass so eine Anforderung angemessen sein muss - im Hinblick auf das, was zu beschaffen ist. Und auch kleine Buchhandlungen können nun mal problemlos große Schulbuchaufträge stemmen. Es gibt also gar keinen Grund, den Bewerberkreis künstlich einzuschränken.

Wie sinnvoll sind Ausschreibungen im Schulbuchgeschäft überhaupt?

Das ist eine Grundsatzfrage. Durch das Buchpreisbindungsgesetz darf der Preis bei Schulbuchaufträgen ja keine Rolle spielen. Deshalb fragen die Kommunen andere Serviceleistungen ab – aber auch da ist der Kanon der handelsüblichen Leistungen rechtlich begrenzt. Leider konnte auch im neuen Vergaberecht auf europäischer Ebene keine Bereichsausnahme für das Schulbuch erreicht werden. Deshalb müssen Kommunen solche Aufträge ab einer bestimmten Größenordnung nach wie vor europaweit ausschreiben. Die Vergabekammer hat im Verfahren gegen die Stadt München nun darauf aufmerksam gemacht, dass die Stadt dennoch Zuschlagskriterien entwickeln muss, die einen wirksamen Wettbewerb gewährleisten –  sprich, in einer Folgeausschreibung müsste sie Kriterien bilden, die sicherstellen, dass der Buchhändler im Wettbewerb ausgewählt wird und gerade nicht im vielerorts üblichen Losverfahren. Das wird die Stadt vor erhebliche Herausforderungen stellen. Und da kann man in der Tat die Frage stellen, inwieweit sich eine solche Ausschreibung vor dem Hintergrund des Preisbindungsgesetzes überhaupt durchführen lässt.

Das heißt, die Stadt München darf den Zuschlag künftig nicht mehr im Losverfahren vergeben?

So kann man die Vergabekammer verstehen. Das Losverfahren war bislang ein probates Mittel, um Schulbuchaufträge zu vergeben – weil sich die Bewerber ja letztlich weder im Preis noch im Service unterscheiden. Aber vor dem Hintergrund des neuen Vergaberechts, das angemessene, am Wettbewerb orientierte Zuschlagskriterien dezidiert einfordert, dürfte das Losverfahren für Probleme sorgen. Das ist ein echtes Dilemma  für die öffentliche Hand. Eine Bereichsausnahme fürs Schulbuchgeschäft wäre sicher die bessere Lösung gewesen.

Der Börsenverein hat sich auf den Vergleich eingelassen, weil die Stadt München ankündigt, ihre Ausschreibepraxis generell zu überdenken und 2018 auch die Losgrößen zu verkleinern. Welches Modell wäre denn generell wünschenswert?

Dezentrale Schulbudgets und damit der Verzicht auf europaweite Ausschreibungen - gerade mit der schwierigen Anforderung, um jeden Preis Wettbewerb zu gewährleisten - wären nicht nur eine Hilfe für den lokalen Buchhandel, sondern vor allem ein sinnvolles Instrument für die öffentliche Hand. Mit einer dezentralen Schulbuchbeschaffung über die einzelnen Schulen könnten die Kommunen ein vergaberechtliches Risiko vermeiden - und müssten sich nicht vor der Vergabekammer für ihre gewählten Kriterien rechtfertigen.

Allerdings geht es dabei, wie immer, ums Geld. Wie realistisch ist die Umsetzung eines dezentralen Modells, wenn die öffentliche Hand durch das geringere Volumen auf Mengenrabatt verzichten muss und statt 15 nur 12 Prozent Nachlass bekommt?

Natürlich müssen die Kommunen genau überlegen, wie sie ihre Beschaffung organisieren. Die Verlockungen einer zentralen Beschaffung mit dem Höchstnachlass von 15 Prozent darf man nicht kleinreden. Nur: Die öffentliche Hand muss erkennen, dass sie haushaltstechnisch auch davon profitiert, wenn sie die regelmäßig wiederkehrenden Schulbuchaufträge reibungslos und ohne Rechtsstreit abwickeln kann. Wenn sie es schafft, die vergaberechtlichen Risiken zu vermindern, dann ist das eben auch ein finanzieller Vorteil. Nachprüfungsverfahren können die Beschaffung für ein ganzes Schuljahr über Monate hinweg blockieren. Während dieser Zeit sind der Kommune die Hände gebunden. Das muss man bei der Entscheidung ebenso berücksichtigen wie die höheren Nachlässe bei großen Losen.

Sollte es nicht auch im Eigeninteresse der Kommunen liegen, den Einzelhandel vor Ort zu stärken?

Aber sicher, zu den rechtlichen kommen noch andere Vorteile – etwa dass sich mit dezentralen Schulbuchbudgets der Buchhandel vor Ort und damit ein Steuerzahler aus der Region unterstützen lässt. Da fallen die 3 Prozentpunkte Rabattdifferenz am Ende vielleicht gar nicht so ins Gewicht.

Das Modell der dezentralen Beschaffung wird laut Börsenverein in immer mehr Städten und Landkreisen praktiziert, beispielsweise in Stuttgart oder Nürnberg. Warum klappt es hier – und anderswo nicht?

Manche Kommunen haben die Probleme schon durchlebt und das Verfahren deshalb verbessert, andere haben direkt die Vorteile einer dezentralen Beschaffung oder anderer flexibler Instrumente erkannt. Aber die Beharrungskräfte sind nicht zu unterschätzen. Die Kommune will, dass die Schulbuchbeschaffung reibungslos und mit wenig Koordinationsaufwand von statten geht. Wenn die Stadt München jetzt von der Vergabekammer München dazu verpflichtet wird, den Schulbuchauftrag auf mehr Lose zu verteilen, dann erhöht das natürlich den Aufwand. Aber: Diesen erhöhten Aufwand muss die öffentliche Hand zum Schutz des Mittelstands hinnehmen. Es ist gut, dass die Vergabekammer jetzt noch einmal daran erinnert hat.

Kann das Verfahren in München damit auch eine gewisse Leuchtturmfunktion haben?

Ich denke schon. München ist mit seinen 300 Schulen und einem Schulbuchvolumen von mehr als vier Millionen Euro schließlich ein großer Player am Markt. Da schaut sicher die eine oder andere Kommune genauer hin, wie München hier vorgeht. Wenn die Vergabekammer sagt: Mit Eurer Losbildung übergeht Ihr berechtigte Interessen des Mittelstands, dann ist damit sicher eine Signalwirkung für andere Kommunen verbunden. Alle haben jetzt die Möglichkeit, aus dieser Sache zu lernen und innovative Beschaffungsmethoden zu entwickeln.

Könnte nicht auch eine Änderung des Preisbindungsgesetzes das Problem lösen – wenn die dezentrale Beschaffung ebenfalls mit einem Höchstnachlass von 15 Prozent belohnt werden könnte?

Wenn die Rabattierung so umgestaltet würde, dass die dezentrale Beschaffung die gleichen Chancen hätte wie die zentrale, dann wäre die Lage sicher anders. Aber die absatzbezogene Regelung steht schon lange im Buchpreisbindungsgesetz und wird sich vermutlich auf absehbare Zeit auch nicht ändern. Kommunen können gerade vor dem Hintergrund des aktuellen Nachprüfungsverfahrens in München sehen, dass der Nachlass nicht alles ist.

Was raten Sie Buchhändlern, die hier selbst politische Überzeugungsarbeit leisten wollen? Sollten sie der Kommunalpolitik die Entscheidung aus München auf den Tisch legen?

Buchhändler können durch diese Entscheidung nur ermutigt sein. Wenn ihre eigene Kommune derzeit noch auf eine zentrale europaweite Beschaffung im Schulbuchgeschäft setzt, dann ist jetzt die Zeit, um aktiv zu werden. Buchhändler sollten ihre Kommunalpolitiker darauf hinweisen, dass die bisherige Praxis des Losverfahrens risikoanfällig ist - und eine dezentrale Beschaffung für alle der bessere Weg ist.