Welche Wachstumsstrategie verfolgt Thalia heute?
Die gute Nachricht ist: Wir eröffnen wieder neue Buchhandlungen. Die Phase der Restrukturierung haben wir damit endgültig hinter uns gelassen. Wichtig ist für uns, dass die Größe der Fläche passt. Wachstum ist aber nicht unsere erste Priorität, sondern die Steigerung der Rentabilität. Da schauen wir heute mit einem anderen Blick drauf als früher. Unser Markt wächst im stationären Bereich einfach nicht mehr so schnell wie noch Anfang des vergangenen Jahrzehnts, dafür umso stärker im Internet.
Wie schätzen Sie die Marktentwicklung im stationären Buchhandel derzeit ein?
Der Markt entwickelt sich im Moment stabil. Wir selbst haben in den ersten fünf Monaten des Wirtschaftsjahrs ein sehr schönes Wachstum auf vergleichbarer Fläche hingelegt. Da haben wir uns besser als der Markt entwickelt.
Geben Sie uns zu Ihrem Wachstum eine Zahl?
Nein.
Wie geht es dem Tolino im Wettbewerb mit Amazon?
Es ist seit Längerem ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Mal hat der eine, mal der andere die Nase vorn. Der Markt ist volatil und noch immer relativ klein. Gleichzeitig haben Sie bei den Messungen auch Unschärfen. Aber die wichtigste Botschaft ist, dass wir es aus der Branche heraus in Deutschland geschafft haben, eine Lösung für den Buchhandel zu entwickeln, die sich in der Spitzengruppe des Markts etabliert hat. Das ist weltweit nach wie vor einzigartig.
Und immer mehr Händler machen mit …
Es sind heute einige überzeugte Mitglieder der Tolino-Allianz, die sich vor zwei, drei Jahren nicht hätten vorstellen können, mit Ketten wie Thalia oder Hugendubel gemeinsame Sache zu machen. Mittlerweile hat sich eine Erkenntnis breitgemacht, die der Branche guttut: Man kann Wettbewerber sein und trotzdem bei einzelnen Themen kooperativ zusammengehen. Das wird heute aktiv gelebt.
Macht sich das Tolino-Engagement der kleinen Händler bei den Verkäufen der Geräte positiv bemerkbar?
Wir haben in der Allianz keinen Überblick über die Gesamtverkaufszahlen. Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen können wir diese Daten nicht teilen. Insgesamt nehmen wir wahr, dass der E-Reader-Markt nicht mehr die hohen Wachstumsraten der ersten Jahre hat. Das ist aber normal. Die Nutzungs- und Lebensdauer der Geräte ist viel länger, als wir es antizipiert hatten, was schön für unsere Kunden ist. Der Kunde möchte problemfrei ein Buch aussuchen, es downloaden und dann lesen. Mehr nicht.
Bei den E-Books entwickelt sich der deutsche Markt insgesamt noch moderat. Man hört schon Häme bei manchen Kommentatoren. Von welchen Annahmen zum E-Book-Markt lassen Sie sich leiten?
E-Books sind nach wie vor ein überdurchschnittlich wachsendes Marktsegment. Als guter Händler sollte man sich also damit beschäftigen. Ob die Marktanteile jetzt bei 20 oder 15 oder zehn Prozent liegen – solange der Rest eher stabil ist, wüsste ich nicht, warum man sich um dieses Wachstum nicht kümmern sollte.
Schon klar. Aber haben Sie auch quantitativ eine Vermutung, wohin die Reise in den nächsten zwei, drei Jahren geht?
Davon machen wir uns ganz bewusst auch frei. Wir schauen stattdessen auf die Faktoren, die diesen Markt antreiben oder antreiben könnten. Das E-Book hat heute schon einen zweistelligen Marktanteil an der Belletristik, nicht nur bezogen auf E-Commerce, sondern insgesamt auf den Buchmarkt. Auf der anderen Seite haben wir Warengruppen, die aus meiner Sicht noch einen viel zu kleinen Marktanteil haben, aber einen deutlich höheren haben könnten.
Beim Kinderbuch zum Beispiel sagen uns Verlagsleute: Das Thema E-Book kannst du da knicken.
Das mag für heute richtig sein. Die Frage, warum das Potenzial bisher nicht gehoben wurde, ist müßig. Mich interessiert vielmehr: Gibt es nach vorn noch Potenzial? Das hängt mit Dingen wie Animation zusammen, mit der Frage, wie man Farbe vernünftig abbildet. Das hat zu tun mit der Frage, wie ein Kunde mit Kinderbüchern umgeht. Und nicht zuletzt natürlich hängt es auch von der Präsentation in der Buchhandlung ab. Mein Vorschlag wäre, zu sagen: Okay, das Problem sind nicht die digitalen Produkte. Das Problem sind wir, weil wir noch nicht den richtigen Weg gefunden haben, diese Produkte zu verkaufen. Ich bin davon überzeugt, dass das E-Book noch einen weiteren Wachstumsschub vor sich hat. Thalia hat jedenfalls seinen Anteil am deutschen E-Book-Markt kontinuierlich ausgebaut, von zwölf auf heute etwa 20 Prozent.
Thalia verkauft den Tolino, das Gerät für den deutschen Buchhandel, auch über Amazon. Rechnen Sie mit Applaus aus dem Sortiment?
Ein guter Händler geht dahin, wo seine Ware gehandelt wird. Deshalb müssen wir Tolino dort verkaufen, wo die Kunden sind, und nicht dort, wo es dem Buchhändler gefällt.
Aber der Buchhändler ist erregungsgeschwind. Meinen Sie nicht, dass etwa die Genossen der eBuch, die den Tolino ja auch anbieten, der Nutzung des Marktplatzes Amazon nicht so viel abgewinnen können?
Man kann seine Meinung ja durchaus anpassen, wie das Beispiel einiger unserer Wettbewerber zeigt. Vor einiger Zeit hat mich Herr Borsche von der eBuch im Börsenblatt im Kontext von Tolino gelobt. Das fand ich, nachdem wir doch den einen oder anderen Konflikt hatten, bemerkenswert. Ich habe immer Respekt, wenn Menschen zu etwas, was bisher nicht in ihr Raster passte, ihre Position ändern können – und das sogar sagen. Nichts stärkt die Gemeinsamkeit von Menschen mehr, als der gemeinsame Erfolg. Dafür ist der Tolino ein eindrucksvolles Beispiel.
Das Thema Marktforschung führt derzeit überall zu Nervenengpässen. Eine Lösung, die gute Daten für die Branche liefert, ist nicht in Sicht. Was tun?
Wir sind davon ebenfalls überrascht und haben dies so nicht kommen sehen. Es wäre wünschenswert, wenn hier auf sachlicher Ebene eine Lösung gefunden wird. Ich beschäftige mich mit dem Thema im Moment nicht weiter.
Thalia gehört zu denen, die ihre Daten exklusiv liefern. Auch wenn Sie sich nicht mit dem Thema beschäftigen: Beschäftigen andere Sie damit?
Nein. Und wenn, kriegen sie die gleiche knappe Antwort wie Sie.
Wo steht Thalia mit seinem E-Commerce-Geschäft?
Wir haben die Digitalisierung immer als die zweite Chance bezeichnet, die man ja in der Regel im Leben nicht bekommt. Deshalb haben wir von Anfang an viel Energie hineingesteckt, um im digitalen Geschäft überproportional vertreten zu sein, um es zu lernen und es mit der gleichen Qualität zu betreiben wie unsere stationären Läden. Das, glauben wir, ist uns gelungen. Wir sehen jetzt, dass von der Kombination von stationär und digital auch das klassische Onlinegeschäft, also der digitale Handel mit physischen Produkten, profitiert und wächst. Unser Marktanteil ist hier mittlerweile auch zweistellig, was sehr erfreulich ist.
Investieren Sie weiter in diese Entwicklung?
Ja, und zwar zuallererst auf der Seite unserer Mitarbeiter. Denn ohne deren Überzeugung kann es nicht gelingen, auch nicht ohne ein gewisses technisches Verständnis für die Themen. Ein zweiter Fokus liegt auf unserer App-Entwicklung, für die wir zwei eigene Teams haben. Nach unserer Wahrnehmung sind wir damit derzeit in Deutschland der einzige Buchhändler, der über eine wirkliche App-Kompetenz verfügt.
Kommen tatsächlich relevant viele Käufe über mobile Geräte zustande?
Hier nur auf Käufe zu gucken, wäre verkehrt. Es geht um das Nutzungsverhalten. Deshalb schauen wir beim E-Book nicht nur danach, wo es gekauft wird – was im wesentlich unseren Onlineauftritt betrifft und die Reader, sondern wir fragen uns auch, wo sie genutzt werden und wo der Kunde recherchiert. Da hat die App eine deutlich höhere Bedeutung als beim reinen Kaufvorgang. Nicht der Kaufvorgang löst Kundenbindung aus, sondern die Nutzung. Deshalb sprechen wir nicht mehr von Cross-Channel, sondern von Omni-Channel, weil wir es am Ende über alle Kanäle hinweg schaffen müssen, dass der Kunde eine gleichmäßige Qualitätswahrnehmung hat.
Wie viel trägt der E-Commerce zum Umsatz mit physischen Büchern bei Thalia bei?
Der Umsatzanteil liegt einschließlich des E-Book-Geschäfts bei knapp 20 Prozent.
Amazon macht stationäre Buchläden auf. In den USA haben sie jetzt zwei. Worauf bereiten Sie sich in Deutschland vor?
Ich persönlich halte es für wahrscheinlich, dass Amazon auch in Deutschland in den stationären Markt einsteigen wird. Wichtig ist, dass man sich auf diesen Fall vorbereitet. Amazon hat eine gute Marke, eine funktionierende Logistik, technologisches Know-how und das Wissen um seine Kunden. Oberflächlich betrachtet, bräuchten sie nur noch einen guten Laden. Aber wir wissen alle, dass eine Buchhandlung mehr ist als guter Ladenbau.
Wie bereiten Sie sich denn vor?
Die Grundfrage lautet doch: Wenn Amazon Läden aufmacht – was müssen wir bieten, damit der Kunde weiterhin zu uns kommt?
Vielleicht einfach weitermachen wie bisher?
Das hat noch nie geholfen. Wir müssen auf Bewährtem, was wir gut können, aufbauen, uns unserer Stärken bewusst sein, sie ausbauen, und dies dann ergänzen um neue Elemente, die der andere schon kann oder, antizipiert, können wird. Hier sehe ich Thalia mit unserem übergreifenden Angebot von stationärer Präsenz mit einer hohen Beratungsqualität, über den Onlineshop bis hin zur App sehr gut aufgestellt – den Tolino nicht zu vergessen. Auf dieser Basis gilt es, unsere Services kontinuierlich zu optimieren und zu erweitern. Kunden haben heute einen sehr hohen Serviceanspruch, dem wir gerecht werden müssen.
Amazon wird dann auch gute Buchhändler brauchen, Leute wie Ihre Buchhändler …
Wir sind ein Buchhändler und haben aus dieser Tradition heraus eine andere Unternehmenskultur. Eine, die eine hohe Bindung mit sich bringt. Das haben wir insbesondere im Rahmen unserer Neuaufstellung erlebt. Mit einer niedrigen Fluktuationsrate in dieser Zeit und dank eines stabilen Teams sind wir zügig durch diese Phase gekommen. Schneller, als viele dachten. Das verdanken wir in erster Linie unseren Mitarbeitern.
- Nachrichten für Zielgruppen
- Besondere Formate
- Abo und Ausgaben
Ganz einfach, in der vergangenen Woche haben zahlreiche, insbesondere kleine Verlage, die als sogenannten Partnerverlage mit Thalia kooperieren, eine Nachricht erhalten, in welcher mitgeteilt wird, dass die Konditionen rückwirkend zum Jahresbeginn auf bis zu 50% angehoben werden. Ohne weitere Begründung.
Was natürlich nicht in dem Schreiben steht: Werden diese Bedingungen nicht akzeptiert, droht höchstwahrscheinlich Auslistung. Thalia sitzt ja am längeren Hebel, da man sowieso jeden Regalmeter viel lieber mit schnelldrehender Allerweltsware bestücken würde. Und Sortimente, welche die Breite und Tiefe des Angebots erweitern könnten, spielen im anspruchslosen Pauschalbuchhhandel der Marke Thalia dementsprechend keine Rolle.
Lassen sich also Verlage, die um ihre Sichtbarkeit bei Thalia fürchten, auf dieses Diktat gezwungenermaßen ein, dürfte wohl in den meisten Fällen mit ziemlicher Sicherheit ein Verstoß seitens des Verlages gegen Paragraph 6 des Buchpreisbindungsgesetzes aufgrund des höheren Rabattes für den Letztverkäufer gegenüber dem Zwischenbuchhandel vorliegen. Ganz zu schweigen von den damit einhergehenden Einbußen, die den ohnehin schon harten Überlebenskampf spezialisierter Kleinverlage in den heutigen Zeiten nur noch schwerer machen.
Im Endeffekt ist es für die Verlage also die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Nicht nur vor diesem Hintergrund sollte man es einem Herrn Busch auf keinen Fall abkaufen, dass er sich immer wieder als rechtschaffender Unternehmer darstellt (wie viele unzählige Mitarbeiter, insbesondere bei Grüttefien-Thalia sind über viele Jahre mit Hungerlöhnen abgespeist worden und wie viele haben aufgrund der ausufernden Wachstumsstrategie ihre Jobs verloren) und sich nun auch noch mit Thalia an die Spitze einer edelmütigen Phalanx des Buchhandels gegen Amazon setzen will.
Viel mehr ist es so, dass seine eigentliche Intention kaum von der des gelben US-Riesen abweicht und er sich für Branchengepflogenheiten, Verhaltensgrundsätze und auch für formale Rahmenbedingungen wie Spartenpapier oder Preisbindungsgesetz im Grunde herzlich wenig interessiert.
Naiv ist, wer etwas anderes glaubt.