Interview mit Siegmar Mosdorf

Netzwerke in die Welt hinein

8. Februar 2018
von Börsenblatt
Siegmar Mosdorf ist der neue Aufsichtsratsvorsitzende der Wirtschaftsbetriebe in der Börsenvereinsgruppe – ein Gespräch über internationale Geschäfte, strukturkonservative Haltungen und lesende Jungs.

Der Buchmarkt ist unter Druck, die Zahl der Buchkäufer sinkt. Verändert sich in einer solchen Phase die Rolle der Wirtschaftsbetriebe des Börsenvereins?
Den Wirtschaftsbetrieben fällt in einer Phase der Konsolidierung die Aufgabe zu, dass man Rückgänge am Markt durch neue Produkte und Services ausgleicht und dass man der Branche hilft, sich unter den Bedingungen von Globalisierung und Digitalisierung neu aufzustellen. Das gilt für die FBM ebenso wie für die Produkte und Programme der MVB. Deren Angebote haben sich so gut entwickelt, dass jetzt andere nationale Märkte Interesse daran zeigen. Das wiederum gibt uns die Möglichkeit, Technologie und Services zu skalieren, indem wir sie international anbieten.

Für die MVB ist das gut. Aber was hat die deutsche Buchbranche davon?
Wir setzen zum Beispiel mit dem Ausrollen einer Metadatenbank wie dem VLB in Brasilien weltweite Standards. Das gilt für die Frankfurter Buchmesse gleichermaßen, sie ist Weltmarktführer. Beide Wirtschaftsbetriebe tragen mit ihren Produkten und Serviceprogrammen dazu bei, dass die deutsche Buchbranche ihr internationales Geschäft ausbauen kann. Prosperierende Wirtschaftsbetriebe geben den Gesellschaftern finanzielle Spielräume.

Wie viel Freiraum sollen FBM und MVB für ihre Unternehmungen haben? Und wo halten Sie andererseits Engführung durch die Gesellschafter für richtig?
Wirtschaftsbetriebe brauchen Freiräume und Flexibilität, um handlungsfähig zu sein und um sich selbst dynamisch entwickeln zu können. Klar ist aber auch – und das verdeutlichen wir immer wieder im Aufsichtsrat der BBG –, dass FBM und MVB ihren Gesellschaftern dienen und damit der Buchbranche insgesamt. Es geht also um eine sinnvolle Balance.

Ist die im Aufsichtsrat gegeben?
Ich meine schon. Für die Berücksichtigung der Gesellschafterinteressen sorgen schon der Vorsteher Heinrich Riethmüller und der Schatzmeister des Börsenvereins, Matthias Heinrich, aber auch der Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis, der ja in der Geschäftsführerrunde die Verbandsinteressen wahrt. Die branchenexternen Vertreter des Aufsichtsrats bringen in erster Linie die wirtschaftliche Expertise ein. Sie sollen schauen, dass die Betriebe gut und effizient arbeiten.

Trotzdem hört man gelegentlich Kritik nach dem Muster: "Ihr versenkt unser Geld in Brasilien, wir kämpfen hier ums Überleben, und dann will der Verband noch die Mitgliedsbeiträge erhöhen." Verstehen Sie den Unmut?
Die Wirtschaftsbetriebe haben sich dynamisch entwickelt. Dazu gehören auch ihre internationalen Aktivitäten. Wir im Aufsichtsrat haben darauf zu achten, dass diese Aktivitäten langfristig profitabel sind. Kritikern der Internationalisierung müssen wir erklären, dass die Erträge aus dem Auslandsgeschäft am Ende des Tages der Branche zugutekommen. Die Wirtschaftsbetriebe haben in den letzten Jahren im Schnitt zwischen 1,5 und 2,5 Millionen Euro Erträge erwirtschaftet und damit die Arbeit des Verbands maßgeblich unterstützt, sowohl mit Ausschüttungen als auch mit Konzessionsabgaben. Wenn ich es richtig weiß, werden etwa 20 Prozent der Verbandsaktivitäten durch die Wirtschaftsbetriebe finanziert. Insofern müssen wir den Kritikern sagen: Wenn FBM und MVB sich international nicht engagieren würden, würden die Mitgliedsbeiträge des Verbands schon lange nicht mehr ausreichen.

Aber ist nicht das Unverständnis eines Buchhändlers, der seinen Betrieb mit viel Mühe und bei oft geringem Unternehmerlohn führt, verständlich?
Natürlich verstehe ich den auch! Aber hier kommt die zweite Funktion der Wirtschaftsbetriebe ins Spiel: Sie sollen Services und Produkte anbieten, die es dem Buchhändler erleichtern, sein Geschäft erfolgreich zu betreiben. VLB-TIX ist ein exzellentes Beispiel dafür, dass genau das auch geschieht.

Soll die FBM eine Messe kaufen? Oder einen Rechtesalon in New York eröffnen? Oder soll man sich auf Beratungsleistungen und die German Book Offices beschränken?
Darüber reden wir regelmäßig im Aufsichtsrat. Die Frankfurter Buchmesse ist heute die wichtigste der Welt. Wenn sie in Frankfurt auch nur annähernd die Welt abbilden will, wenn unser – im Weltmaßstab – kleiner Sprachraum dennoch eine kraftvolle Stimme haben will, dann müssen wir auch in die Welt hinein nachhaltige Netzwerke haben. Die Aufgabe geht weit über das jeweilige Gastland in Frankfurt hinaus. Deshalb kümmert sich Juergen Boos darum, international präsent zu sein, und zwar ganzjährig und nicht nur um die Tage der hiesigen Buchmesse herum.

Präsenz ist noch kein Geschäft. Dessen Aufbau – etwa mit einem Rechtesalon oder mit einer digitalen Plattform für den Lizenzhandel – fällt nicht leicht.
IPR License haben wir im Aufsichtsrat intensiv diskutiert. Juergen Boos ist dabei, diese Plattform effizient aufzustellen und natürlich möglichst viele Verlage einzubeziehen. Das braucht etwas Zeit. Wenn heute in einer zunehmend globalisierten Buchbranche eine digitale Plattform angeboten wird, auf der man Rechte-Verhandlungen führen kann, ist es eine Frage der Zeit, bis das auch zur Praxis der Verlage wird. Deshalb hat der Aufsichtsrat auch grünes Licht für dieses Start-up gegeben, aber wir werden genau beobachten, inwieweit sich ein finanzieller Erfolg in absehbarer Zeit abzeichnet.

Das Trägheitsmoment wirkt erfahrungsgemäß stark, bevor aus einer digitalen Möglichkeit eine digitale Praxis wird.
Ja. Aber sobald eine kritische Masse an Verlagen sich auf der Plattform akkreditiert hat, wird das Modell fliegen, davon bin ich überzeugt. Strukturkonservative Haltungen findet man in jeder Branche, das ist keine Spezialität von Verlagen und Buchhandlungen. Die Folge ist, dass Unternehmen in alten Strukturen zunächst abwarten und auf eine neue erst aufspringen, wenn die erfolgreich geworden ist. Damit haben wir natürlich die klassische Henne-Ei-Problematik. VLB-TIX muss die gleiche Schwierigkeit überwinden. Da braucht es einen langen Atem. Zugleich müssen wir die Attraktivität eines neuen Angebots für jeden sichtbar machen.

Wie bewerten Sie den Kauf der Bestellsysteme Pubnet und PubEasy durch die MVB?
Der Aufsichtsrat achtet immer sehr genau darauf, dass die internationalen Aktivitäten unmittelbar der deutschen Branche Vorteile bringen. Das haben wir auch im Fall von Pubnet und PubEasy geprüft und mit Ronald Schild intensiv diskutiert. Und wir sehen bereits nach kurzer Zeit, dass die US-Aktivitäten für die MVB im Cashflow sehr positiv laufen. Das heißt, diese Akquise kommt jetzt schon dem Börsenverein und damit der Branche zugute.

Sollen FBM und MVB aus Ihrer Sicht den Kurs der Internationalisierung fortsetzen?
Ja. Es geht ja nicht um sachfremde Geschäftsfelder, die irgendwo eröffnet werden, sondern es geht um die Möglichkeit, seine eigenen Instrumente und Serviceangebote, die oft weiter entwickelt sind als in anderen Ländern, zu skalieren und damit die Erträge zu erhöhen – das ist der Kern der Globalisierung.

Innovation ist das zweite Entwicklungsfeld der Wirtschaftsbetriebe. Machen die Unternehmen hier eher zu viel, eher zu wenig, oder stimmt der Fokus?
Ich bin seit 14 Jahren im Aufsichtsrat. Wenn ich auf diese lange Zeit schaue, war es früher so, dass die Wirtschaftsbetriebe eine eher passive Rolle gespielt haben. Jetzt nehmen sie im dynamischen Wachstumsprozess eine aktive Rolle ein. Das ist in erster Linie das Verdienst der beiden Geschäftsführungen. Der Aufsichtsrat fungiert dabei gewissermaßen als Schleuse: Wir diskutieren jeden Business-Plan, teilweise auch kontrovers. Aber ich bin immer froh, wenn die Geschäftsführer selbst mit neuen Ideen und Vorschlägen kommen. Die brauchen wir in einem Marktumfeld, das sich konsolidierend entwickelt. Wichtig ist, dass die FBM und die MVB die innovativen Leute in den Verlagen und Buchhandlungen mitnehmen.

Sie sind ein Mann der ersten Stunde im Aufsichtsrat der BBG. Warum machen Sie so lange schon mit?
Ich habe mich damals schon im Wirtschaftsministerium für die Themen der Buchbranche engagiert, für die Preisbindung, für die German Book Offices. Deshalb ist die Branche irgendwann auf mich zugekommen, und ich habe mich gern zur Verfügung gestellt. Dass daraus eine so lange Strecke geworden ist, hängt damit zusammen, dass ich mich der Branche und ihren Mitgliedern sehr verbunden fühle. Ich kenne viele Verleger und Buchhändler auch persönlich. Da ist ein Stück Bindung entstanden und Identität. Und natürlich liegt der große Reiz, anders als zum Beispiel bei der Automobilindustrie, nicht im wirtschaftlichen, sondern im intellektuellen Gewicht der Buchbranche. Es geht ja um Content, nicht um Blech.

Ihr Vorgänger an der Spitze des Aufsichtsrats, Joachim Treeck, hat die Frage gestellt, ob es ein "Fremdeln" gibt zwischen den Aufsichtsräten und den Vertretern in den Börsenvereins­gremien. Was denken Sie?
Ich würde es nicht Fremdeln nennen. Man hat ja schon darauf geachtet, dass Leute in den Aufsichtsrat berufen worden sind, die nicht nur ihren wirtschaftlichen Sachverstand mitbringen, sondern auch eine Affinität zum Buchmarkt und zu den Institutionen des Börsenvereins. Ich glaube allerdings, dass wir externen Mitglieder des Aufsichtsrats unsere Präsenz bei den Veranstaltungen des Börsenvereins erhöhen müssen. Das habe ich mir persönlich auch vorgenommen, und darüber werde ich mit meinen Kollegen sprechen. Das gilt etwa für die Buchtage, für die Buchmessen, auch für die Friedenspreisaktivitäten.

Schaut man sich aktuelle Mediennutzungsdaten an, zeigt sich, dass das Buch als Leitmedium in Bedrängnis gerät. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?
Die tägliche Allgegenwart von Bildschirmen führt dazu, dass die Kulturtechnik des intensiven Lesens langer Texte zurückgedrängt wird. Am deutlichsten zeigt sich das an der zunehmenden Zeit, die Jugendliche für die Nutzung von Smartphone oder Laptop aufwenden. Wie viel Zeit bleibt da noch, um ein Buch zu lesen?! Gleichwohl hat die Branche sich in den letzten zehn Jahren tapfer geschlagen – von 9,6 auf 9,3 Milliarden Euro Umsatz, das ist ein durchschnittliches Minus pro Jahr von 0,5 Prozent. Es zeigt sich also immer noch ein relativ stabiles Bild.

Teilen Sie den Eindruck, dass das Thema Buch im politischen Berlin  weniger Gewicht hat als noch, sagen wir, vor zehn Jahren?
Das sehe ich nicht. Das Buch hat nach wie vor einen hohen politischen Stellenwert. Man muss ja die Dimension beachten: Wir reden von einer Branche mit neun Milliarden Euro Umsatz! Trotzdem haben wir enge Netzwerke ins Kanzleramt, ins Wirtschafts-, Justiz- und Außenministerium und spüren überall den Willen zur politischen Unterstützung.

Was lesen Sie? Und wie finden Sie die Zeit für Bücher?
Ich lese gern und ziemlich viel. Die Zeit dafür muss man sich nehmen. Das ist eine bewusste Entscheidung. Gerade habe ich von Christoph Hein den Roman »Trutz« mit großer Spannung gelesen – eine packende Geschichte, die in Berlin beginnt und von Menschen erzählt, die in der Nazizeit fliehen mussten, die keine Pässe für westliche Demokratien bekamen, nach Moskau gingen und dann eine schmerzliche Entwicklung erlebten. Ich finde das toll, wie Hein hier Lebensschicksale und Weltgeschichte miteinander verwebt. Manchmal lese ich auch gern Lyrik. Gedichte von Mascha Kaleko rühren mich sehr an, auch die von Hilde Domin – "dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten". Das wäre übrigens auch ein schönes Motto für unsere Branche, die sich mit ihren Büchern an zeitgestresste Leser wendet.

Ihre Jungs sind 12 und 13 Jahre alt. Lesen die?
Ja. Das ging los mit "Sport Bild" und mit "Dein Spiegel", die ich immer mitbringen musste. Aber jetzt stürzen sie sich in Bücher, oft bis abends um halb elf. Und am Frühstückstisch heißt es: Mama, kannst du mir bitte den nächsten Band besorgen!

Und die Handys?
Meine Frau hat die Regel eingeführt, dass sie an Handys oder iPad nur so lange spielen, wie sie am Tag Klavier spielen. Klappt ganz gut.