War die Neuübersetzung Ihre Idee?
Nein, der S. Fischer Verlag ist an mich herangetreten und hat mich gefragt, ob ich eine Übersetzung machen wollen würde. 70 Jahre nach dem Tod von Antoine de Saint-Exupéry sind ja die Rechte wieder frei geworden und die Originalübersetzung von Grete und Josef Leitgeb stammt von 1950. Sie ist, ehrlich gesagt, auch nicht so toll. Da wurde inhaltlich nicht immer sauber gearbeitet, es wurden beispielsweise Tempi nicht richtig wiedergegeben oder Pronomen falsch übersetzt.
Sie haben Anglistik und Psychologie studiert. Wie gut sind Ihre französischen Sprachkenntnisse?
In der Schule hatte ich sechs Jahre Französisch, ich beherrsche die Sprache ganz gut und habe ein Jahr in Paris gearbeitet. Und in der Schweiz ist man dem Französischen deutlicher ausgesetzt als sonstwo. Immer und überall. In den Nachrichten, auf Verkehrsschildern oder schon auf Produkt- und Lebensmittelpackungen im Supermarkt. Das hat sicher unbewusst bei der Übersetzung geholfen
„Der kleine Prinz“ gilt als Klassiker. Hatten Sie Respekt vor dem Projekt?
Zunächst nicht. Klar, „Der kleine Prinz“ ist ein tolles Buch. Aber einerseits ist es nach mehr als 60 Jahren doch etwas in Vergessenheit geraten und andererseits wusste ich, dass es mehrere Neuübersetzungen geben würde. Ich weiß nicht, ob ich mich getraut hätte, so frei zu arbeiten wie Enzensberger … Nein, eigentlich nicht. Das ist nicht mein Stil. Ich arbeite lieber enger am Original. Eigentlich ist mein Respekt im Laufe der Arbeit gewachsen. Ich wollte die Übersetzung für Kinder machen, also war es wichtig, eine klare Sprache zu finden, nahe an der Originalsprache zu bleiben. Dann habe ich einfach angefangen. Angefangen, losgeschrieben und übersetzt.
Wie unterscheidet sich denn die Übersetzerarbeit von der des fiktionalen Schreibens?
Es ist fast wie ein Buch schreiben. Ich mache mir Notizen in Klammern, mache eine Rohfassung, verweise auf Aspekte, die später noch einmal kommen, überlege, ob die Logik passt und so. Und ich habe erst im Nachhinein in die anderen Übersetzungen geschaut. Die Übersetzungsarbeit ist dennoch eine andere Art der Schöpfungsarbeit als bei einem Original. Man muss dem Autor gerecht werden und doch seinen eigenen Stil finden. Aber ich finde es schön, wenn man beides macht: Übersetzen und Schreiben. Ich glaube nicht, dass ich mich an einen Flaubert trauen würde, aber „Der kleine Prinz“ war ja auch nicht so dick …
Gibt es bestimmte Zeiten, zu denen Sie besonders gerne schreiben?
Normalerweise von acht bis 12 oder 13 Uhr, wenn meine Kinder in der Schule sind. Mehr geht aber auch nicht, dann ist bei mir die Luft raus. Vielleicht ist das weniger Zeit, als andere Leute am Schreibtisch verbringen, mir reicht es aber. Das ist an einem Stück genug. Manchmal schreibe ich auch unterwegs; ich fahre oft und gern Zug und schreibe dort auch.
Bei Ihrer Übersetzung fällt eine gewisse Spontanität auf - wegen Ihres Ziels, eine klare Sprache für junge Leser zu finden?
Das kann schon sein. Zum Beispiel klingt die Formulierung “Große Leute” aus der Ausgabe von 1950 eher alt, anbiedernd, – das sagen junge Menschen heute einfach nicht mehr. Von daher meine Wahl mit “Erwachsenen”. Ich wollte eine klare Sprache finden.
Wie haben Sie sich den Figuren genähert?
Die sind bereits im Original sehr lebendig. Von daher war eine psychologische Annäherung nicht notwendig. Die Figuren existieren als lebensechte Charaktere und ändern sich auch kaum. Nur bei Redundanzen hab ich mir dann doch erlaubt, den Textfluss zu unterbrechen und mit Variationen versucht, ihn aufzulockern.
Haben Sie eine Lieblingsstelle?
Mir gefällt der Schluss: Da wird Saint-Exupéry ernst. Ich finde es mutig, dass er seinen Helden wirklich sterben lässt. Die Stelle mit dem Fuchs ist auch sehr schön; ich glaube, die gefällt allen sehr gut. Überhaupt gefällt mir besonders der Teil, der auf der Erde spielt. Daneben klingen die Beschreibungen auf den verschiedenen Planeten über den König, den Eitlen oder den Geschäftsmann doch eher belehrend. So richtig spannend wird es erst, wenn der kleine Prinz auf die Erde kommt. Wenn er Freunde gewinnt. Wenn es um Momente geht, die man gemeinsam erlebt. Das ist es, was wir am kleinen Prinzen besonders mögen. Wir mögen ihn, weil er so etwas Direktes hat, etwas Offensives. Er fragt nicht, er sagt immer geradeheraus, was er denkt.
Wie haben Freunde und Kollegen reagiert, als sie von Ihrem Projekt hörten?
Erstaunt. Ganz klar erstaunt. Immerhin hatte ich erst ein Bilderbuch (Susan Musgrave und Marie-Louise Gay: „Träum dir eine Badewanne“ im Friedrich Reinhardt Verlag, 2002) übersetzt. Deswegen waren die meisten Freunde, Bekannte, aber auch Kollegen erst mal überrascht. Dann kam aber auch Freude hinzu. Und ich glaube wirklich, dass es ein gutes Buch geworden ist - eines, das man gut verschenken kann.
Peter Stamm, geboren 1963 in Scherzingen, Kanton Thurgau in der Schweiz lebt mit seiner Freundin und seinen Söhnen in Winterthur, Schweiz. Er ist Autor von Romanen, Hörspielen und Theaterstücken. Sein Debütroman „Agnes“ erschien 1998 im Arche Verlag.
Interview: Jonas Mirbeth