Interview mit Oliver Trettin (BVV)

DVD-Markt: "TMI hat enorme Lücken hinterlassen"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Jahrelang ging es nur aufwärts, jetzt purzeln die Zahlen: Legt der Buchhandel beim DVD-Geschäft nun den Rückwärtsgang ein? boersenblatt.net hat nachgefragt: Ein Gespräch mit Oliver Trettin, dem Stellvertretenden Geschäftsführer des Bundesverbands Audiovisuelle Medien (BVV).
Über Jahre legte der Filmverkauf im Buchhandel kräftig zu, nun scheint sich die Stimmung abzukühlen. Laut GfK hat der Buchhandel im ersten Halbjahr 15 Prozent weniger DVDs verkauft als noch um Vorjahr, der Umsatz sank im Vorjahresvergleich um acht Prozent. Woran liegt das?
Oliver Trettin: An den Umstrukturierungen bei Weltbild, in erster Linie aber an der Pleite von TMI. Das Unternehmen war bis Herbst 2008 einer der größten DVD-Logistiker im Buchhandel, aufgrund der Insolvenz standen viele Händler dann aber plötzlich ohne aktuelle Ware da - und das ausgerechnet im so bedeutenden Weihnachtsgeschäft. TMI hat enorme Lücken hinterlassen, die selbst im diesjährigen Ostergeschäft noch nicht geschlossen waren. Mittlerweile jedoch haben sich die meisten neu aufgestellt und andere Lieferanten gefunden. Das Geschäft läuft wieder an.

Der Buchhandel ist also wieder raus aus dem Tal?
Oliver Trettin: So, wie ich das sehe, war er nie wirklich drin. Das Marktvolumen mag insgesamt geschrumpft sein, aber letztlich zeigt der Rückgang nur, wie groß die Eruptionen sind, wenn einige große Anbieter weniger umsetzen. Die meisten Buchhändler machen meines Wissens andere Erfahrungen: Bei allen, die nicht von TMI beliefert wurden, ziehen die Umsätze weiter an.

Wie lautet Ihre Prognose für das Gesamtjahr 2009?
Oliver Trettin: Nachdem sich die Lage im Buchhandel wieder stabilisiert hat, rechne ich sogar mit einem neuen Rekord – auf jeden Fall aber mit mehr als den 3,8 Millionen DVD-Verkäufen aus dem Vorjahr.

Der Wettbewerb mit Saturn & Co. ist knallhart. Kann der Buchhandel da überhaupt mithalten?
Oliver Trettin: Auf jeden Fall. Der Buchhandel bedient ganz andere Käufer: Sie sind im Schnitt älter und besser gebildet, weniger preissensibel und auch weniger technikaffin – sie kaufen also ganz anders ein. Was die Preise angeht: Buchhändler sollten ruhig selbstbewusster kalkulieren. Ein Test in Hamburg hat gezeigt, dass der Buchhandel sehr wohl mithalten kann, teilweise sogar unter dem Durchschnittspreis liegt. Von den Werbeaktionen der Elektronikhändler sollte sich kein Händler abschrecken lassen, DVDs zu verkaufen.

Und von den Margen?
Oliver Trettin: Auch davon nicht. Sie mögen niedriger sein als bei Büchern, doch ein direkter Vergleich ist kaum aussagekräftig.

Das heißt?
Oliver Trettin: Ich empfehle eine andere Rechnung – eine, die auf Mischkalkulation basiert und Cross-Selling-Effekte mit einbezieht. Letztlich wird die Marge natürlich mit Masse gemacht, ohne Schnelldreher wird die Kasse also nie stimmen. Doch klar ist: Buchhändler profitieren auch durch Zusatzverkäufe. Wer eine DVD kauft, nimmt erfahrungsgemäß auch noch mehr mit.

DVDs machen immer noch den Großteil des gesamten Video-Umsatzes aus, doch ihr Anteil schwindet. Was boomt, sind Filme im Blu-ray-Format. Welche Rolle spielen sie im Buchhandel?
Oliver Trettin: Bislang nur eine kleine – was einerseits an der besonderen Klientel liegt, andererseits aber auch an der Auswahl. Im Moment gibt es 1.300 Blu-ray-Filme, die Zahl der DVDs liegt bei etwa 40.000.

Wo entsteht neues Potenzial?
Oliver Trettin: Erste Ergebnisse einer Marktstudie, die wir demnächst vorstellen, lassen keinen Zweifel daran: Es gibt viele Menschen, die Filme gern im Buchhandel kaufen würden – vor allem Frauen. Derzeit ist die Situation so: Die Nachfrage ist da, das Angebot aber noch vergleichsweise klein – vielfach wird auch noch unterschätzt, dass DVDs gern als Geschenk gekauft werden. Das ist das eine. Hinzu kommt: Viele Kunden wissen bis heute nicht, dass sie nirgendwo schneller ihren Wunschfilm bestellen können als im Buchhandel. Da lässt sich also noch sehr viel machen.

Angenommen, ein Buchhändler möchte ins DVD-Geschäft einsteigen: Wie geht er vor?
Oliver Trettin: Generell gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder er nimmt die über die Barsortimente erhältliche DVD-Bestsellerliste und fängt mit den Top20 bis zur Top 50 an – das ist die sichere Bank. Oder er wählt aus, spezialisiert sich auf ein bestimmtes Genre, zum Beispiel auf Dokumentationen, Literaturverfilmungen; Bollywood oder Kinderfilme. Wer im Laden keinen Platz für DVDs schaffen kann, sollte aber zumindest unbedingt eines tun: seine Kunden auf die Bestelloption hinweisen.

2008 gründeten Filmproduzenten – unter dem Dach des BVV – eine Arbeitsgruppe, um den Buchhandel beim DVD-Verkauf zu unterstützen. Wie weit sind sie gekommen?
Oliver Trettin: Weit, aber noch nicht weit genug. Was wir bisher unter anderem gemacht haben: 2008 entwickelten wir die DVD-Bestsellerliste für den Buchhandel und eine Reihe von Booklets für die Endkundenwerbung, 2009 veröffentlichten wir dann gemeinsam mit KNV einen ersten DVD-Händler-Katalog, in der Deutschen Buchhändlerschule in Seckbach läuft gerade eine groß angelegte Vortragsreihe an. Auf dieser Linie machen wir weiter, zum Beispiel mit mehreren Vorträgen auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse und flächendeckenden DVD-Booklets in den Buchhandelsmagazinen zum Weihnachtsgeschäft. Das Interesse der DVD-Programmanbieter ist jedenfalls riesig, trotz Umsatzdelle.