Interview mit Manuel Herder

Weniger, aber wertiger

4. Februar 2016
Redaktion Börsenblatt
Der Verleger Manuel Herder führt ein Familienunternehmen in sechster Generation. Er knüpft ein digitales Netzwerk, glaubt an Qualität suchende Leser – und leistet sich eine Buchhandlung, um das Geschäft besser zu verstehen.

Ihr Verlag macht mit aktuellen Debattenbüchern auf sich aufmerksam, die "FAZ" schrieb von "Hochgeschwindigkeitsbüchern". Wie gelingen Ihnen die?
Wir denken Themen nicht mehr nur vom Buch her, sondern von Publikations­formaten wie E-Book oder gar der App, auch wenn am Ende ein gedrucktes Buch für den Handel dabei herauskommt. Das verändert die Prozesse im Verlag und beschleunigt sie. Ein Beispiel dafür ist das Buch auf Arabisch und Deutsch für Flüchtlinge. Im Oktober ist es als physisches Buch herausgekommen, davor als App und als E-Book.

Was bedeutet die veränderte Produk­tionslogik vertrieblich?
Herder hat einen gut organisierten Vertreterstamm, teilweise mit eigenen Vertretern, und ein straff organisiertes Key-Account-Management. Wir haben darüber hinaus ein Kundenservicecenter, über das wir den Buchhandel mit Fax- und Mail-Aktionen direkt erreichen. Wir können sicherstellen, dass unsere Bücher an den Handel gelangen.
 
Welche Themen kommen für "Hoch­geschwindigkeitsbücher" infrage?
Wir machen sie dort, wo wir uns sicher sind. Oft ist das im Bereich Politik der Fall. Der Debattenband "Ins Offene", herausgegeben vom Bundestagsabgeordneten Jens Spahn, war das erste Buch zur Flüchtlingsdebatte. Auch das Buch von Julia Klöckner erschien außerhalb des regulären Programms und hat reüssiert. Als Papst Franziskus im November 2014 seine Rede in Straßburg gehalten hat, waren wir beeindruckt: die Rede eines nicht europäischen Papstes vor dem Europäischen Parlament. Natürlich haben wir uns dafür entschieden – und schon Mitte Dezember konnte ich ihm das Buch auf dem Petersplatz überreichen. Viele euro­päische Abgeordnete und auch Bundestagsabgeordnete haben das Buch als Weihnachtsgeschenk verwendet. Das hat mich sehr gefreut.

Ins Thema App investieren Sie viel. Die Berliner Smart Mobile Factory gehört Ihnen mehrheitlich. Entwickelt sich das Geschäft profitabel?
Smart Mobile produziert in der Haupt­sache Apps für Kunden aus anderen Wirtschaftszweigen und der Industrie. Damit wächst sie sehr zügig. Unsere eigene Branche bedient sie kaum. Bei Herder bilden wir zusammen mit den Kollegen der Smart Mobile Factory eine Expertengruppe. Diese betreut herder.de, unseren Onlineshop und alle Onlineprodukte.

Herder hat keine gewachsene techno­logische Expertise. Die mussten Sie aufbauen bzw. zukaufen. Wie sind Sie das angegangen?
Wir haben im Rahmen unserer "Strategie 2016" eine bestimmte Summe definiert, die wir über mehrere Jahre auf dem Onlinemarkt ausgeben wollten. Es ging uns darum, ein Netzwerk aufzubauen, das uns in die digitale Welt trägt und uns mit interessanten Investitionschancen bekannt macht.

Investitionsmittel, an die keine Erlös­erwartungen gebunden waren?
Am Anfang ja. Damit haben wir Beteiligungen gekauft, erst kleinere, später größere und am Ende die Smart Mobile Factory. Das Schöne war: Bis auf eine Ausnahme sind uns alle Investitionen gelungen. Wir mussten aber zunächst unser Netzwerk aufbauen, um sinnvoll investieren zu können. Deshalb bin ich in der Welt herumgereist, in Japan, im Silicon Valley und in New York. Ich habe Start-up-Unternehmer getroffen und signalisiert, dass wir investitionswillig sind. Das ist eine andere Ansage, als wenn man nur nach Geschäftsmodellen fragt. Daraus sind interessante Kontakte erwachsen. Auf die bin ich angewiesen, denn ich gehöre ja nicht zur digitalen Generation.

Vielen Publikumsverlagen fällt das Geldverdienen mit digitalen Produkten schwerer als mit physischen Büchern. Welche Erfahrungen machen Sie?
Wir merken zwar sehr wohl, dass wir bei der Smart Mobile Factory mit Apps Geld verdienen können, aber als Dienstleister für Industriekunden. Das Geschäft wächst, und wir stellen fast monatlich einen neuen Mitarbeiter ein. Für unsere Herder-Apps gilt allerdings genau, was Sie sagen: Sie sind da, aber ein echtes Geschäft sind sie noch nicht.

Glauben Sie, dass die Geschäfts­aussichten mal besser werden?
Ja, aber möglicherweise nur als Substitut für herkömmliche Umsätze. Viele Publikumsverlage haben ja auch ihre Taschenbuchumsätze zum Teil ans E-Book abgegeben. Wachstum auf der einen und Rückgang auf der anderen Seite. Unsere Zielgruppe ist da noch etwas zurückhaltender und unser Taschenbuch wächst nach wie vor. Anders ist das in unseren Fachmärkten. Hier sehen wir größere Möglichkeiten.

Sie haben Ihren Onlineshop gerade relauncht. Warum investieren Sie ins Direktgeschäft?
Je näher wir der Kundschaft sind, desto zielgenauer können wir unser Verlags­programm gestalten. Unser Onlineshop konzentriert sich auf unsere Fachmärk­te, also zum Beispiel Kindergärten. Dadurch, dass wir sehen, wie sich welche Fachbücher und Fachzeitschriften bei uns verkaufen, können wir auch unseren Handelspartnern viel glaubwürdiger sagen, ob und wo sie sich etwas entgehen lassen. Für den Buchhändler ist es immer interessant, einen Verlag als Partner zu haben, der seine Zielgruppe wirklich kennt.

Abgesehen von einer kleinen Fläche in Rom als Untermieter der Vatikanischen Buchhandlung und von Carolus in Frankfurt hat Herder keine Buchhandlungen mehr. Warum haben Sie sich nicht von Carolus getrennt?
Buchhandel macht mir Freude. Mit Carolus lerne ich vieles über Buchhandel: seien es die Probleme mit den Margen, den Verlagen, den Vertretern, den Vorschauen. Bei Carolus sehen wir, wie Verlage auf Händler wirken. Deshalb haben wir in Frankfurt zum Jahreswechsel in einen neuen Standort, in "Carolus Bücher" investiert.

Irgendwo las ich über Sie, Sie hätten zwei Büros: eins für Kreativität, eins für Zahlen. Wo sitzen wir jetzt gerade?
In dem für Zahlen. "Zahlen" steht sinnbildlich für Unternehmensführung, für Finanzen, für Immobilien oder Organisation. Das Büro für die Verlegerarbeit hatte ich früher zwei Stockwerke weiter oben, mit Blick auf den Schwarzwald. Das habe ich gegen unsere Standorte München und Berlin eingetauscht. Darüber bin ich sehr froh. München entwickelt sich zur Bestsellerschmiede und Berlin zur Kontaktbörse.

In Ihren Vorschauen fällt auf, dass Sie sich über bisherige Preisschwellen hinwegwagen. Mit welcher Strategie?
Buchleser, das sehen wir in unserem Shop und bei Carolus, geben für ein inhaltlich gutes und gut ausgestattetes Buch gern Geld aus. Es sind in der Regel nicht ein, zwei Euro mehr oder weniger, die eine Rolle spielen, sondern die Frage, ob sie ihre Zeit für die richtige Lektüre aufwenden. Kunden, die Bücher kaufen, weil sie Interesse an dem Thema haben, sind bereit, einen Preis dafür zu zahlen. Alle Händler haben uns auf der letzten Buchmesse gebeten, lieber weniger, dafür aber wertigere Bücher ins Programm aufzunehmen. Dem Wunsch des Handels folgen wir und sind jetzt gespannt auf die Entwicklung unseres Frühjahrsprogramms.

Manche Buchhändler inszenieren im Eingangsbereich dennoch einen Preiswettbewerb, den es ja gar nicht gibt.
Wir probieren bei Carolus das Gegenteil aus. Wir zeigen dort hochwertige Bücher, weil wir glauben, dass in einer Stadt wie Frankfurt genau danach gesucht wird. Und nicht nach dem Ramsch. Um als Verlag ein Signal an den Handel zu setzen, haben wir auf allen Titelseiten unserer Vorschauen immer eines der wertigsten Bücher präsentiert.