Der Bundesgerichtshof hat die Begründung seines Urteils zur VG Wort veröffentlicht. Worauf müssen sich die Verlage jetzt einstellen?
Die Auswertung des Urteils ergibt ganz klar, dass die VG Wort nun Rückforderungsansprüche bei den Verlagen geltend macht – und zwar für die Jahre 2012 bis 2015. Im vergangenen Jahr hat die VG Wort allerdings nur noch einen einstelligen Millionenbetrag an Verlage ausgeschüttet. Die Situation entbehrt nicht einer gewissen Tragik: Bundesjustizminister Maas und Kulturstaatsministerin Grütters auf nationaler Ebene sowie Günther Oettinger auf europäischer Ebene haben sich klar dafür ausgesprochen, dass Verleger auch weiterhin an Ausschüttungen beteiligt werden sollen – und der Bundesgerichtshof entscheidet streng formaljuristisch, dass dies nicht so sein dürfe. Das ist im Ergebnis unbefriedigend.
Vertragliche Nachbesserungen scheinen kein Ausweg zu sein, wenn man der Urteilsbegründung folgt. Ruhen nun alle Hoffnungen auf dem Gesetzgeber?
Der Schlüssel zur Lösung liegt nun eindeutig bei der Politik – was die Sache nicht einfacher gestaltet. Eine nationale Zwischenlösung im Sinne einer Klarstellung, dass Verlage auch ausschüttungsberechtigt sind, wäre zwar denkbar, könnte aber im Hinblick auf das Reprobel-Urteil des Europäischen Gerichtshofs sogleich als Verstoß gegen EU-Recht verstanden werden. Notwendig wäre deshalb auch eine Klarstellung auf EU-Ebene. Die EU-Regelung hat einen Zeitverlust zur Folge und engt auch die Möglichkeiten der VG Wort ein, gegebenenfalls rückzufordernde Ansprüche mit künftigen Ausschüttungen zu verrechnen. Auf jeden Fall wird man im Bund versuchen, die gröbsten Härten für Verlage abzufedern. Ein Modell, an dem gerade gearbeitet wird, ist ein Darlehensfonds, der Überbrückungshilfen leisten könnte. Ändert sich die Rechtslage nicht, stünde künftig weniger Geld zur Autorenförderung und für Honorare zur Verfügung. Die Zahl der veröffentlichten Autoren würde schrumpfen.
Welche Erfolgsaussichten hat eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil?
Das wird derzeit eingehend geprüft. Ein Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht erscheint mir nicht als abwegig. Allerdings löst ein Beschwerdeverfahren nicht die aktuellen Probleme, weil es die Rechtsfolgen des BGH-Urteils nicht hemmt.
Der I. Zivilsenat des BGH gibt in seiner Begründung zu erkennen, dass er ein Leistungsschutzrecht (LSR) favorisiert. Wie steht der Börsenverein dazu?
Die Frage des Leistungsschutzrechts ist innerhalb der Verlegerschaft umstritten. Die Kritiker lehnen es ab, weil es im Gegensatz zum (abgeleiteten) Urheberrecht nur ein „kleines Recht“ ist. Ein LSR für Buchverlage könnte zudem die gesamte Urheberrechtslandschaft im Buchbereich durcheinanderbringen. Es hätte beispielsweise zur Folge, dass auch auf gemeinfreien Werken Schutzrechte liegen. Eine sichere und zukunftsweisende Lösung wäre in jedem Fall eine klarstellende Regelung auf EU-Ebene, dass Verlage auch Anspruchsberechtigte im Sinne der Richtlinie sind.
Welche Zukunft hat die VG Wort in ihrer bisherigen Form?
Durch ein LSR würde sie sicher nicht erleichtert. Um die daraus entstehenden Ansprüche zu befriedigen, müsste man vermutlich wieder die Geräteabgabe erhöhen und sämtliche Vergütungsmodelle neu aushandeln. Das könnte das Verhältnis zwischen Verlagen und Autoren belasten.
Interview: Michael Roesler-Graichen
Die Branche könnte endlich zeigen, was sie von einem Malereibetrieb unterscheidet, der nach Abschluss seiner Arbeiten keine weiteren Verwertungsgebühren erhebt/erheben darf, sondern auch noch Garantien geben muss. Die Leistungen eines Verlags zu einem Buch lassen sich in konkrete Zahlen fassen. Warum die Branche sich wie ein nimmersattes Vielfrass verhält, ist weder logisch, noch faktisch begründbar. Auf Tradition beharren, ist mehr als Lächerlich. Etwas Falsches wird nicht automatisch Richtig, nur weil es jahrzehntelang nicht angefochten wurde.
Statt sich von der Politik jetzt das warme Bett sichern zu lassen, sollte der Weckruf für Veränderungen genutzt werden. Es werden Verlage sterben und Mitarbeiter entlassen, doch nur so kann Neues entstehen. Dafür finden sich genügend Belege in der Geschichte. Im Übrigen wird es Zeit, dass muffelige Bettzeug mal auszuwechseln.
"Statt sich von der Politik jetzt das warme Bett sichern zu lassen, sollte der Weckruf für Veränderungen genutzt werden."
Das glauben Sie doch selbst nicht....das haben die Herren seit Jahrzehnten so gehalten und das werden sie jetzt auch nicht ändern. Wobei Sie inhaltlich natürlich vollkommen Recht haben!
"Die Autoren hätten gern an der bisherigen Regelung festgehalten" - ist das so? Alle waren sich einig und zufrieden? Aber vielleicht wussten ja viele einfach gar nichts von der Sache.
Einer dieser Autoren hat jedenfalls gerade erst eine Klage bis zum jüngsten Gericht durchgepaukt, die exakt das Gegenteil eines solchen universalen Einverständnisses meint. Aber Sie möchten einfach daran festhalten mit allen zusammen. In der Urteilsbegründung des BGH heißt es glasklar, die von der VG Wort erhobenen Gelder "müssen kraft Gesetzes unbedingt den unmittelbar und originär berechtigten Wortautoren zukommen". Dieser Satz wird in dem Urteil sogar mehrfach wiederholt - offenbar um ganz sicher zu gehen, dass keine Missverständnisse auftreten. Noch einmal auch hier: unbedingt den Wortautoren zukommen, diese sind unmittelbar und originär berechtigt. Wortautoren sind die Leute, die einen Text geschrieben haben (nicht die Verleger oder sonstwer, also auch keine Mitarbeiter des jeweiligen Verlagshauses). Es nützt also angesichts der Klarheit dieser Entscheidung auch nichts, den "Urheber"-Begriff fantasievoll zu erweitern, da eben eindeutig von "Wortautoren" die Rede ist. Dennoch liest man nun wieder allerorten, es müsse nun erst mal eine Gesetzesänderung angestrebt werden, man müsse sehen, was daraus zu machen sei etc. Man versucht offenbar, auf Zeit zu spielen. Aber was soll damit gewonnen werden? Müssen die zurückgehaltenen Beiträge nicht sogar verzinst werden? Könnten jetzt nicht reihenweise Klagen erhoben werden? Aber die Schadensbegrenzung scheint ja nicht als so wichtig gesehen zu werden.
Auch dass die Zahl der veröffentlichten Autoren sinken wird, halte ich für eine falsche Prognose. Die Zahl der Autorinnen und Autoren, die Bücher und E-Books ohne Verlag veröffentlichen steigt sozusagen stündlich. Und das Niveau steigt mit.
Wer hat sich eigentlich je darüber Gedanken gemacht, wovon die Mehrzahl der schreibenden, auch der bei Verlagen veröffentlichenden AutorInnen leben, dass nur ein winziger Bruchteil von ihnen vom Schreiben leben kann, selbst wenn sie nicht schlecht verkaufen, also gar nicht so kleine Auflagen haben? Und warum sollten AutorInnen nun trotz höchstrichterlicher Entscheidung stumm bleiben und zusehen, wie die Lobbyarbeit der Verlag bei den Politikern die gewünschte Gesetzesänderung bringt? AutorInnen haben keine Lobby, nicht einmal Verbände oder Gewerkschaften, die sich für ihre Belange einsetzen würden. Aber immerhin den BGH, der für eine Aufwertung ihrer Position als UrheberInnen und ganz konkret für eine Mehrung ihrer Einnahmen Recht gesprochen hat. Ich finde es eigentlich skandalös, dass der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins sich über diese höchstrichterliche Entscheidung erhebt, statt sie einfach anzuerkennen.