Interview mit Alexander Skipis

"Der Schlüssel liegt nun eindeutig bei der Politik"

4. Mai 2016
Redaktion Börsenblatt
Der Bundesgerichtshof hat seine VG-Wort-Entscheidung vom 21. April veröffentlicht und damit in einigen Punkten für Klarheit gesorgt. Für die Verlage stellen sich allerdings nun drängende Fragen. Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, über unmittelbare und mittelbare Folgen des Urteils und ein mögliches Gegensteuern des Gesetzgebers.

Der Bundesgerichtshof hat die Begründung seines Urteils zur VG Wort veröffentlicht. Worauf müssen sich die Verlage jetzt einstellen?
Die Auswertung des Urteils ergibt ganz klar, dass die VG Wort nun Rückforderungsansprüche bei den Verlagen geltend macht – und zwar für die Jahre 2012 bis 2015. Im vergangenen Jahr hat die VG Wort allerdings nur noch einen einstelligen Millionenbetrag an Verlage ausgeschüttet. Die Situation entbehrt nicht einer gewissen Tragik: Bundesjustizminister Maas und Kulturstaatsministerin Grütters auf nationaler Ebene sowie Günther Oettinger auf europäischer Ebene haben sich klar dafür ausgesprochen, dass Verleger auch weiterhin an Ausschüttungen beteiligt werden sollen – und der Bundesgerichtshof entscheidet streng formaljuristisch, dass dies nicht so sein dürfe. Das ist im Ergebnis unbefriedigend.

Vertragliche Nachbesserungen scheinen kein Ausweg zu sein, wenn man der Urteilsbegründung folgt. Ruhen nun alle Hoffnungen auf dem Gesetzgeber?
Der Schlüssel zur Lösung liegt nun eindeutig bei der Politik – was die Sache nicht einfacher gestaltet. Eine nationale Zwischenlösung im Sinne einer Klarstellung, dass Verlage auch ausschüttungsberechtigt sind, wäre zwar denkbar, könnte aber im Hinblick auf das Reprobel-Urteil des Europäischen Gerichtshofs sogleich als Verstoß gegen EU-Recht verstanden werden. Notwendig wäre deshalb auch eine Klarstellung auf EU-Ebene. Die EU-Regelung hat einen Zeitverlust zur Folge und engt auch die Möglichkeiten der VG Wort ein, gegebenenfalls rückzufordernde Ansprüche mit künftigen Ausschüttungen zu verrechnen. Auf jeden Fall wird man im Bund versuchen, die gröbsten Härten für Verlage abzufedern. Ein Modell, an dem gerade gearbeitet wird, ist ein Darlehensfonds, der Überbrückungshilfen leisten könnte. Ändert sich die Rechtslage nicht, stünde künftig weniger Geld zur Autorenförderung und für Honorare zur Verfügung. Die Zahl der veröffentlichten Autoren würde schrumpfen.

Welche Erfolgsaussichten hat eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil?
Das wird derzeit eingehend geprüft. Ein Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht erscheint mir nicht als abwegig. Allerdings löst ein Beschwerdeverfahren nicht die aktuellen Probleme, weil es die Rechtsfolgen des BGH-Urteils nicht hemmt.

Der I. Zivilsenat des BGH gibt in seiner Begründung zu erkennen, dass er ein Leistungsschutzrecht (LSR) favorisiert. Wie steht der Börsenverein dazu?
Die Frage des Leistungsschutzrechts ist innerhalb der Verlegerschaft umstritten. Die Kritiker lehnen es ab, weil es im Gegensatz zum (abgeleiteten) Urheberrecht nur ein „kleines Recht“ ist. Ein LSR für Buchverlage könnte zudem die gesamte Urheberrechtslandschaft im Buchbereich durcheinanderbringen. Es hätte beispielsweise zur Folge, dass auch auf gemeinfreien Werken Schutzrechte liegen. Eine sichere und zukunftsweisende Lösung wäre in jedem Fall eine klarstellende Regelung auf EU-Ebene, dass Verlage auch Anspruchsberechtigte im Sinne der Richtlinie sind.

Welche Zukunft hat die VG Wort in ihrer bisherigen Form?
Durch ein LSR würde sie sicher nicht erleichtert. Um die daraus entstehenden Ansprüche zu befriedigen, müsste man vermutlich wieder die Geräteabgabe erhöhen und sämtliche Vergütungsmodelle neu aushandeln. Das könnte das Verhältnis zwischen Verlagen und Autoren belasten.

Interview: Michael Roesler-Graichen