Hybridautoren

Zweites Leben

29. Mai 2015
von Börsenblatt
Nicht mehr lieferbar, nicht erfolgreich oder einfach zu alt – die Gründe, den Lebenszyklus eines Buches zu beenden sind vielfältig. Früher mussten sich die Autoren damit arrangieren; oder mit Glück einen neuen Verlag finden. Heute vermarkten viele das eigene Werk noch einmal in Eigenregie. Und siehe da: Mancher Titel verkauft sich als E-Book sogar besser als zuvor.

Vorausschauendes Handeln zahlt sich manchmal aus: Ein Jahr vor dem Ende seines Vertrags im Jahr 2013 nahm Andreas Richter Kontakt zu seinem Verlag auf. Er hätte gerne die Nutzungsrechte an seinem Thriller „Mobile“ zurück, die er 2001 an Droemer Knaur verkauft hatte. Inzwischen waren E-Books, von denen elf Jahre zuvor noch niemand sprach, ein gängiger Verbreitungsweg. Richter sah eine Chance.

„Die Rückgabe der Rechte war kein Problem“, sagt er heute. Der Titel war längst auf der Backlist und für Droemer nicht mehr von Bedeutung, Richter zog sein altes Material hervor, setzte sich zwei Tage hin, überarbeitete es sanft und verpasste seinem Buch ein neues Cover. Binnen anderthalb Jahren hat sich das neue-alte „Mobile“ als E-Book knapp 6000 Mal verkauft. Das ist mehr als nur ein Achtungserfolg: Die Verlagsausgabe erzielte in den ersten beiden – allein für das Geschäft maßgeblichen – Jahren nur rund 4500 Verkäufe.

Marcus Hünnebeck hat drei seiner Thriller mit der neuen Strategie sogar bislang insgesamt über 160.000 Mal verkauft – ein Vielfaches der Auflage, die er mit den selben Titeln um die Jahrtausendwende beim Betzel Verlag in Nienburg und beim Militzke Verlag in Leipzig machen konnte. „2011 habe ich angefangen, den E-Book-Markt zu beobachten“, sagt Hünnebeck. Da lag die Entscheidung für den Autor aus Monheim am Rhein schnell auf der Hand, auch wenn er zunächst aus eigener Tasche investieren musste, denn auf einmal gab es niemanden mehr, der einen Vorschuss zahlte.

Heute ist Hünnebeck einer der erfolgreichsten Self-Publishing-Autoren Deutschlands und war mit „Wenn jede Minute zählt“ schon auf Platz 1 in den Amazon-Bestseller-Charts. Trotzdem kehrt er im Herbst mit seinem neuen Buch zu einem klassischen Verlag zurück. „Egmont LYX hat sich E-Book-Rechte natürlich gleich mit einräumen lassen“, sagt er und lacht.

Hybridmodelle liegen bei vielen Autoren im Trend. Dabei gibt es die einen, die sich bewusst für die zweigleisige Strategie zwischen Verlags- und Self-Publishing-Titeln entscheiden und manche Titel ausschließlich als E-Book herausbringen. Und die anderen, die aus ihren ehemaligen Verlagswerken auf eigene Faust per digitaler Veröffentlichung noch etwas herausholen und dadurch zum Hybridautor werden. Die „Self-Publishing-Studie 2014“ von „Books on Demand“ bescheinigt dem verlagsunabhängigem Veröffentlichen einen Boom: Demnach besteht das Portfolio von professionellen Autoren mittlerweile im Schnitt aus 6,8 Titeln im Selbstverlag und 3,6 Titeln bei Fremdverlagen. Bei der Erstellung und Vermarktung ihrer Bücher gehen die Urheber, so eine weitere Erkenntnis, zunehmend professioneller und mit einem unternehmerischen Interesse vor. Das bedeutet, dass auch immer öfter externe Dienstleister, etwa für Lektorat oder Covergestaltung, direkt von den Autoren engagiert werden. Knapp jeder zehnte europäische Self-Publisher gibt bereits mehr als 1.000 Euro pro Buchtitel aus, um diesen professionell auf den Markt zu bringen.

Dafür bekommt man die volle inhaltliche und gestalterische Kontrolle über sein Werk. Erst recht, wenn man sich Nutzungsrechte vom Verlag zurückholt. „Autoren haben heute viel mehr Optionen als früher“, sagt Joerg Pfuhl, Aufsichtsratsvorsitzender der Entertainmentgruppe Edel AG in Hamburg und Ex-CEO bei Random House. „Früher hätte man sich in so einem Fall nur einen anderen Verlag suchen können.“

Doch wie sieht es juristisch mit den Rückübertragungen von Nutzungsrechten aus? Befristete Verlagsverträge seien selten geworden, sagt Peter Lutz, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht von der Münchner Kanzlei SNP Schlawien. „Also muss schon eine der beiden Seiten aktiv werden.“ Die Rückholmodalitäten richten sich dabei nach den vertraglichen Abreden.

Ist nichts explizit vereinbart, gelte in der Branche der Konsens: Sobald ein Titel nicht mehr lieferbar ist, darf der Autor die Rechte zurückholen, sagt Pfuhl. Nach frühestens zwei Jahren Vertragslaufzeit kann er außerdem vom Verlag die Ausübung eines bestimmten Nutzungsrechts verlangen, sofern dies bislang nicht geschehen sei, sagt Anwalt Lutz. Sollte der Verlag dann nicht, wie vom Autor gefordert, etwa dessen Werk auch als Taschenbuch, E-Book oder dergleichen herausbringen, kann der Autor binnen einer angemessenen Frist diese einzelnen Nutzungsrechte zurückbekommen, um sie selbst auszuüben. Grundlage ist § 41 des Urhebergesetzes.

Der E-Book-Auswertung können Verlage freilich meist schnell und unkompliziert nachkommen. „In den meisten Verträgen, die in den vergangenen zehn Jahren geschlossen wurden, ist dieses Recht sowieso explizit erwähnt“, sagt Joerg Pfuhl. Die Frage ist vor allem, wie scharf der Verlag noch auf die weitere Auswertung eines Titels ist. „Ein überholtes wissenschaftliches Lehrbuch ist nach 10 Jahren nicht mehr lukrativ“, sagt Peter Lutz, „ein Standardwerk hingegen lässt man sicher nicht gehen.“

Dass die Rückbesinnung auf ein Werk auch bei den Verlagen eine Rolle spielen kann, zeigt das Beispiel James Lee Burke. Bei Edel hat man im vergangenen Jahr eine Reihe seiner Krimis als E-Books neu aufgelegt. „Die waren vergriffen“, sagt Pfuhl. „Wir wollen solche alten Schätze heben und nutzbar machen.“