Hartmut und Helmut Falter über ihr Familienunternehmen

200 Jahre Mayersche

20. Januar 2017
von Börsenblatt
Die Mayersche Buchhandlung feiert 200. Geburtstag. Wo soll das Familienunternehmen in 20 Jahren stehen? Die beiden Geschäftsführer Hartmut und Helmut Falter werfen einen Blick in die Zukunft – und aufs Jubiläumsjahr.

200 Jahre Mayersche Buchhandlung: Das ist ein stolzes Alter. Wann wird denn gefeiert – und haben Sie besondere Aktionen geplant?
Hartmut Falter: Kalendarisch ist der 200. Geburtstag am 16. September, aber wir werden das ganze Jahr über feiern, bis zum 31. Dezember. In unseren Buchhandlungen gibt es eine eineinhalb mal drei Meter große Jubiläumsfläche in Goldoptik mit einem Papp-Aufsteller unseres Gründers Jacob Anton Mayer und der Sortimentschronik, dazu Jubiläumstragetaschen und Lesezeichen aus Papier. Die Fläche bespielen Verlage im Zwei-Wochen-Rhythmus, das war ganz schnell ausgebucht. Die Verlage werden uns zudem werblich unterstützen, wenn wir etwa online oder mit ­Radiowerbung bislang nicht erreichte Kundengruppen ansprechen wollen.


An welche Zielgruppen ist da gedacht?
Helmut Falter: Insbesondere an jüngere oder solche mit Migrationshintergrund. Die lassen sich stärker von den Inhalten eines Buchs faszinieren, und wir müssen ihnen vermitteln, dass sie diese Inhalte bei uns bekommen. Es ist wichtig, diese Zielgruppen zu erreichen.


Aber wie kommen Sie an die ran?
Helmut Falter: Ich überlege gerade, ob eine Kampagne in Bussen und Bahnen Erfolg versprechend wäre. Aber das A und O ist, die Hemmschwelle bei den Läden zu senken. 2001 haben wir Saftbars integriert, eine Reihe von Buchhandlungen hat ein Klavier – es tut gut, die Klavierklänge zu hören, das erzeugt eine Wohlfühlatmosphäre. Und verlängert die Verweildauer im Laden.


Lassen sich die Jüngeren auch leichter von Auszubildenden erreichen?
Hartmut Falter: Aufgrund der geringen Altersdifferenz fühlen sich die jüngeren Kunden oft besser von den Azubis angesprochen. Mit aktuell 100 Azubis haben wir da schon ein schönes Potenzial.


Feiert die Familie Falter auch mit ihren Mitarbeitern?
Helmut Falter: Aber selbstverständlich! Am 12. März werden wir hier im Aachener Stammhaus auf allen Flächen mit Mitarbeitern und ihren Familien feiern; wir schätzen, dass es etwa 500 Personen sein werden.
Hartmut Falter: Und mit den Geschäftspartnern und Verlagen soll es dann am 22. September eine Matinee mit kleinem Programm geben, zum Beispiel einem kleinen Film von Mitarbeitern. Da rechnen wir mit 250 Gästen. Und für die Kunden werden wir in den Filialen bestimmt auf 200 Veranstaltungen kommen.


Das klingt alles deutlich lockerer als die eher akademische Feier zum 150. Geburtstag ...
Helmut Falter: Der Unterschied ist riesengroß – die Zeit hat sich einfach verändert. Damals kamen der Bürgermeister und der Bischof, als Festredner kam Professor Emil Dovifat aus Berlin, wir haben ein prächtiges Fotoalbum und eine Festschrift gemacht – aber, Hand aufs Herz: Wer würde heute eine 400-seitige Chronik lesen? Wir wollten kein Geld in die Hand nehmen für etwas, das anschließend im Schrank landet.


Aber der Aachener Oberbürgermeister und der Bischof werden doch auch kommen, oder?
Hartmut Falter: Oberbürgermeister Philipp hat zugesagt. Aber die Mayersche hat sich ja auch verändert: Vor 50 Jahren waren wir die Aachener Buchhandlung – heute sind wir an 51 Standorten und wollen als Marke vor Ort wahrgenommen werden, müssten also eigentlich 51 Bürgermeister einladen. Bischof Dieser hat Mitte November sein Amt angetreten, da müssen wir erst mal den Kontakt knüpfen. Aber schön wär's schon.


Die Mayersche war immer in Familienbesitz, seit 67 Jahren gehört sie der Familie Falter. Das Wort "Familien­unternehmen" ist in Deutschland sehr positiv besetzt: Wie stark können Sie mit diesem Pfund wuchern?
Helmut Falter: Der Buchhandel verträgt das Wort "Tradition" recht gut. Die Mayersche steht für Kontinuität, Verläss­lichkeit; man weiß, was man von uns erwarten kann, und das ist die spürbare Qualität in unserer Angebotsauswahl und in der Beratung. Ich stehe immer noch in Kontakt mit der Urenkelin des Gründers, Valerie Mayer und hoffe, dass sie zum Jubiläum kommt. Ihr Vater hat mir das Archiv vermacht – auch das ist ein Sinnbild für diese Kontinuität. Aber wir sorgen ebenso dafür, dass wir nicht in einem Konservativismus versinken.


Zum Beispiel?
Helmut Falter: Sehen Sie dieses Plakat? "Schock deine Eltern, lies ein Buch!": Diese Botschaft haben wir quer über die Republik gestreut, auch als Lesezeichen. Das hat für Aufsehen gesorgt.
Hartmut Falter: Die Buchbranche ist im Grunde ziemlich wertkonservativ, da reicht es schon, wenn man ein bisschen frech ist, um aufzufallen.


Wie weit kann man da gehen? Es muss ja auch immer zur Marke passen.
Hartmut Falter: Humorvoll darf es sein, aber nicht verstörend. Wir haben inzwischen ja eine große Bandbreite an Kunden, einerseits etwa extrem konservative Kunden, die sehr intensiv beraten werden wollen, andererseits Stöberer, die entdecken wollen und zwei Stunden mit Bücherstapeln in der Leselounge sitzen oder Studenten, die an Tischen ganze Seiten abschreiben.
Helmut Falter: Aber selbst die zurückhaltenden, konservativen Kunden kann man für Neues gewinnen! An den ver­gangenen Samstagen habe ich immer wieder am Tolino-Stand den E-Reader erklärt, und insbesondere ältere Kunden, die zunächst pauschal sagen: "Brauche ich nicht!", waren aufnahmebereit, weil da ein seriöser, älterer Herr ihnen erklärt, warum der Reader als Ergänzung zum Buch sinnvoll sein, wie die Schriftgröße angenehm eingestellt werden kann usw. Und nicht zuletzt haben viele gedacht: Wenn der das kann, dann kann das mit der Technik nicht so kompliziert sein. 2016 haben wir gut 10.000 Tolinos verkauft.


Die Mayersche hat aktuell 51 Filialen, dabei soll es sicher nicht bleiben, oder?
Hartmut Falter: Wachstum als Selbstzweck lohnt sich nicht. Und wir haben auch nicht das Ziel, Fähnchen auf die Landkarte zu stecken. Jeder Standort muss genau betrachtet werden, und wir haben ja auch in den vergangenen Jahren immer wieder Korrekturen vorgenommen. Was wir weiterhin tun werden, ist, Chancen zu nutzen – so gibt es etwa eine Reihe von Buchhändlern, die aufhören wollen und keinen Nachfolger finden. Das wäre einfach schade, wenn es sie nicht mehr gäbe. Und manchmal ist es ein Zufall, wie bei der Bücherinsel in Duisburg-Rheinhausen: Da haben wir erst aus der Presse erfahren, dass Linda Broszeit schließt, weil niemand übernehmen wollte.


Vor fünf Jahren wäre Ihnen die Bücherinsel vermutlich zu klein gewesen, oder?
Hartmut Falter: Noch vor drei Jahren hätten wir eine Größenordnung von 120 Quadratmetern nicht genommen. Rheinhausen ist ein kleiner Stadtteil, eine kleine Adresse – aber bestens aufgestellt. Das passt. Die großen Verkaufsflächen haben heute eine andere Funktion und ergänzen sich ideal mit den kleineren Flächen.


Wie entwickeln sich die Umsätze in der Landeshauptstadt Düsseldorf, wo die Mieten ja nicht gerade billig sind? Spüren Sie, dass dort ein großer Wettbewerber weggefallen ist?
Hartmut Falter: Die Schließung des Buchhauses Stern-Verlag im März hat unserer im April neu eröffneten Filiale in der Friedrichstraße in der Tat einen spürbaren Umsatzschub beschert, weil viele Stern-Kunden nun zu uns kommen. Aber auch mit der Filiale in der Königsallee, die wir im achten Jahr betreiben und für die wir den Miet­vertrag verlängert haben, sind wir zufrieden – ebenso mit der Stadtteilbuchhandlung in der Nordstraße. 
Helmut Falter: Um die Frage nach der Mietbelastung generell zu beantworten: Flächen zu verkleinern ist ja nicht ganz einfach, der Vermieter halbiert schließlich nicht eben mal die vermietete Fläche. Das will alles wohl überlegt sein.


Vielleicht können Sie die Frage nicht mehr hören, aber: Konzentriert sich die Mayersche weiterhin auf das Gebiet Nordrhein-Westfalen?
Hartmut Falter: Ja, die unvermeidliche Frage ... Im Moment haben wir keine Ambitionen, den Radius von rund 400 Kilometern zu vergrößern. Diese Gebietsgröße hat sich als ganz gut beherrschbar erwiesen. Der Standort Trier mit Interbook ist der Ausreißer, weil er in Rheinland-Pfalz liegt; er läuft nach der Restrukturierung sehr erfolgreich.
Helmut Falter: Aber Trier ist von unserem Stammhaus in Aachen nur 150 Kilometer entfernt und näher als etwa das 270 Kilometer entfernte Herford – es kommt also nicht auf eine Bundeslandgrenze an.

Was wird sich in den nächsten zehn bis 20 Jahren bei der Mayerschen ändern?
Hartmut Falter: Was sich bereits grund­legend geändert hat, ist dass der Kunde die Informationshoheit übernommen hat. Wenn er sich im Internet vorher kundig macht, weiß er meist mehr als der Buchhändler. Perspektivisch wird es keine Computerterminals mehr geben, sodass der Kunde nicht mehr zur Theke gehen muss. Er wird von unseren Mit­arbeitern am Regal bedient, die über ihr Smartphone alle Informationen abrufen können. Das spart Wegezeit und das lästige Hin und Her.


An welchen "Stellschrauben" lohnt es sich noch zu drehen?
Hartmut Falter: Hauptstellschraube sind die Mitarbeiter. Bei einem Qualifikationsprogramm haben wir im vergangenen Jahr die Abläufe in den Läden optimiert, damit wieder mehr Zeit für die Kunden ist.
Helmut Falter: Natürlich sind bei den Optimierungen die unterschiedlichen Gegebenheiten jeder Filiale berücksich­tigt worden. Der Wareneingang am Kölner Neumarkt, wo täglich 30 Palet­ten ankommen, muss anders ablaufen als in Ahlen.
Hartmut Falter: In diesem Jahr stellen wir uns der Frage: Was kann ich mit der gewonnenen Zeit anfangen? Denn entscheidend ist der Kundenkontakt. Eine gute Lage, ein schöner Laden – ist alles wichtig. Aber die Mitarbeiter sind die Seele der Buchhandlung, von ihnen hängt es ab, ob die Kunden gern wiederkommen.


Wie entwickelt sich die Allianz mit der Osianderschen Buchhandlung?
Hartmut Falter: Gut. Wir treffen uns alle zwei bis drei Wochen und haben aktuell eine enge Kooperation beim Marketing und der IT, weitere Felder werden gerade entwickelt.


Zum Schluss noch ein Sprung in die Nebenmärkte: Wie macht sich Best of Books?
Hartmut Falter: Inzwischen haben wir 100 Standorte, 120 Shops, 1.300 Depots, wir können zufrieden sein. Prinzipiell machen wir ja nicht jeden Standort in jeder beliebigen Lage, sondern es muss vonseiten der Firmen ein Shopkonzept mit einer gewissen Wertigkeit gewollt sein. Mehr und mehr stellen wir hier fest, dass selbst Billig-Discounter wie Aldi und Lidl Trading-Ups versuchen, um wertiger zu werden. Diesem Trend tragen wir Rechnung, indem in den vergangenen drei Jahren 25 BoB-Läden das Markenkonzept der Mayerschen erhalten haben, Tendenz steigend.

Die Mayersche

16. September 1817
Jacob Anton und Fanny Mayer gründen in Aachen die Mayersche Buchhandlung.

1847
Jacob Anton Mayer eröffnet mit Emil Flatau eine Filiale der Buchhandlung in Brüssel.

1950
Nach einigen Besitzerwechseln erwirbt Michael Falter die Mayersche Buchhandlung.

1982
Sohn Helmut Falter setzt auf Größe – und eröffnet in Köln in der Hohen Straße (2.200 qm).

2002
Neubau in Aachen (5.500 qm). Der Mayersche-Umsatz in den zehn Filialen beträgt 90 Millionen Euro.

2010
Die Mayersche hat 48 Filialen (65.000 qm) und 170 Millionen Euro Umsatz (2009, geschätzt).

2015
Die Mayersche schmiedet eine strategische Allianz mit der Osianderschen.

2017
1.000 Mitarbeiter, 51 Standorte (20 Übernahmen), 155 Millionen Euro Umsatz 2016 (geschätzt).



Die Familien Mayer und Falter

Isaak Abraham Mayer und seine Frau Fanny kamen 1816 aus Burgkunstadt am Obermain nach Aachen, wo sie am 16. September 1817 die Mayersche Buchhandlung gründeten. Mayer kon-
vertierte zum evangelischen Glauben und nannte sich Jacob Anton Mayer. 1822 gründete er die "Stadt Aachener Zeitung" und verlegte weitere Zeitschriften sowie 1837 erstmals Molières Werke in Deutschland. 1888 verkaufte Sohn Carl die Buchhandlung an seinen Gehilfen Gustav Schwiening, der sie 1915 seinem Gehilfen Max Berger verkaufte. Dessen Enkel veräußerte sie 1950 an Michael Falter.

Michael Falter absolvierte 1921 seine Buchhändlerlehre in der Mayerschen. 1935 machte er sich selbstständig und führte mit seiner Frau Agnes ein Presseunternehmen und eine Anzeigen-Agentur. 1946 unterstützten die Falters den Wiederaufbau der Mayerschen, 1947 wurde Michael Falter Partner und dessen Sohn Helmut 1951 Teilhaber der Mayerschen. Seit 1992 ist Hartmut Falter geschäftsführender Gesellschafter der Mayerschen.