Gastspiel von Tobias Gohlis über Regionalkrimis

Schlechte Vertuschung

20. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Masse allein machtʼs nicht: Regio- und Psychokrimis deutscher Provenienz sind tendenziell sprachlos, meint Tobias Gohlis, Kritiker und Sprecher der "KrimiZeit"-Jury. Und spitzt zu: "Der Regiokrimi ist die Bad Bank der deutschen Kriminalliteratur."

Dem deutschen, also: dem deutschsprachigen Krimi geht es gut − irgendwie. Das war jedenfalls der Eindruck, der auf der Tagung "Krimis Machen 1" im April in Berlin entstand. Wirtschaftlich keine Klagen. Und intellektuell, ästhetisch, literarisch? Da hapert es in der Masse gewaltig.

Es gibt etwa 15 bis 20 Kriminalschriftsteller deutscher Sprache, die ich gern lese, deren Arbeit ich mit Spannung verfolge. Die nach meinen Maßstäben Qualität haben. Gemessen an einem Griechen, zirka sieben Skandinaviern oder fünf Italienern ist das viel. Aber ist es auch genug?

Wenn man sehr grob klassifizieren will, werden auf Deutsch zwei Gruppen von Krimis geschrieben: Regiokrimis und Psychokrimis.

Der "Regiokrimi" (inzwischen als Begriff sogar in die USA exportiert) ist ein Etikett fürs Marketing, ansonsten Etikettenschwindel. Der Regiokrimi ist die Bad Bank der deutschen Kriminalliteratur. Hier wird der Gestaltungsdrang williger Amateurschriftsteller in örtlich begrenzten Auflagen entsorgt, und dem Nachbarschaftsinteresse wird Genüge getan. Ein ernsthafter regionaler Kriminalroman müsste erstens einen Ort oder eine Gegend gefunden haben, deren Erforschung und Beschreibung sich lohnt. Er müsste es zweitens verstehen, die Verbrechen aus den lokalen Besonderheiten zu entwickeln und drittens die besondere Sprache und Gewohnheiten der Akteure fassen können. Er müsste, wie Ian Rankin das für sein Schreiben reklamiert, seinem Ort "Bedeutung" geben. Aber dann gäbe es keine Regiokrimis mehr.

Mit den Psychothrillern verhält es sich ähnlich: Von Psychologie verstehen ihre Verfasser wenig bis nichts. Absonderliche Pathologien werden zu Serienkillerfantasien aufgeblasen, bevorzugt junge weibliche Opfer in Grüften gequält − schlechte Übernahmen aus dem amerikanischen Kosmos, die mehr oder minder temporeich zwischen Monsterbeschwörung und Erniedrigungsszenarien wechseln.

Regio- und Psychokrimis deutscher Provenienz sind tendenziell sprachlos. Sie verlassen sich darauf, dass ihr Publikum die Tatort-Dramaturgie schon wiedererkennt. Beschrieben, gar erzählt werden muss da nicht mehr. Diese Schreib-Lese-Schwäche wäre ja noch erträglich. Aber das krimihafte Getue erfüllt gesellschaftlich die Funktion, die wirklichen Verbrechen mit Krimi zu überdecken. 80 Prozent der deutschen Krimiproduktion sind nicht nur schlecht geschrieben, sondern sind Vertuschung durch Ablenkung.

Der forensische Psychiater Hans-Ludwig Kröber hat in dem Essay "Töten ist menschlich" ("Die Zeit" vom 21. Oktober 2012) die narrativen Strategien attackiert, mit denen sich die heutige Gesellschaft die lauernde Gewalt vom Leib redet: durch psychologische oder biologistische Dämonisierung der Täter zu Monstern, durch weiche Pädagogik und Erklärung des Mordens zum unlösbaren Rätsel. Kröber: "Ich vermute, dass uns deshalb alles brennend interessiert, was mit dem Töten zu tun hat: Es ist das tief in uns ruhende Wissen um die Existenz einer − momentan bloß schlummernden − Option auf Gewalt, die uns unwiderruflich zu Opfern oder Tätern werden lassen kann. Wir leben mit einer historisch belegten, gegenwärtig lediglich imaginären Bedrohung, die jäh auf uns einstürzen und sehr real werden kann." Vielleicht ist das ein Grund, warum die Masse der deutschen Krimis so schwach ist. Das Verbrechen des Holocaust schwärt weiter, als imaginäre, uneingestandene Bedrohung. Wir wollen es nicht wieder tun.