Die Räume des S. Fischer Verlags waren am Donnerstagabend überwiegend mit jungen Leuten gefüllt, die zunächst ehrfürchtig der Autorin Mirjam Pressler und Gerti Elias, Witwe des kürzlich verstorbenen Buddy Elias, Anne Franks Cousin, lauschten. Doch die zurückhaltende Ehrfurcht wich schnell aufrichtigem Interesse, als die Moderatoren des Mediacampus mit ihren Gästen nach kurzen Lesungsabschnitten ein offenes und herzliches Gespräch über den Entstehungsprozess des Romans "Grüße und Küsse an alle" und die Familiengeschichte der Franks führten.
Die Entstehung des Romans ist insbesondere dem Einsatz von Gerti Elias zu verdanken, die unzählige Briefe der Familie Frank, ursprünglich aus Frankfurt stammend, auf dem Dachboden des Hauses in der Herbstgasse in Basel gefunden hatte. "Insgesamt hatte ich circa 10.000 Dokumentseiten zusammengetragen, alle an verschiedenen Stellen des Dachbodens aufbewahrt", erzählte sie dem staunenden Publikum. Nachdem sie dem Anne Frank-Fonds vom Fund berichtete, war die Entscheidung zügig gefallen: Das Material sollte unter ihrer Verantwortung zu einem Buch werden. Für sie stand nach der Sichtung der Dokumente fest, dass Mirjam Pressler die Briefe zu einem Buch stricken sollte. Doch die gab der Familie einen Korb. "Für mich kam das gar nicht in Frage. Als ich aber doch mit meiner Agentin nach Basel gefahren war und dort immer wieder das Bild der dreijährigen Alice, Annes Großmutter, ansah, habe ich mich umentschieden", sagte die Autorin und Übersetzerin. Irgendetwas daran habe sie nicht losgelassen.
Der Titel erschien bereits 2009 zum ersten Mal beim S. Fischer Verlag. Trotz der vielen Jahre zwischen Erstausgabe und Lesung sowie den zahlreichen anderen Terminen im Rahmen der Reihe "Frankfurt liest ein Buch" sprachen beide Frauen noch immer voller Emotionen über die Entstehung des Titels, der zeigt, wie sehr die Familie Frank unter dem Verlust der Angehörigen zu leiden hatte und doch weitermachte, weil die Familie das eben immer so tat, wie Gerti Elias berichtete.
Der verstorbene Buddy Elias veranlasste vor seinem Tod die Rückführung vieler familiärer Gegenstände nach Frankfurt. In zwei Jahren wird eine große Ausstellung folgen.
Informationen zum Titel
Mirjam Pressler / Gerti Elias: "'Grüße und Küsse an alle'. Die Geschichte der Familie von Anne Frank", Fischer Taschenbuch Verlag, 432 S., 10,99 Euro
Die Familie Frank, die sonst über ganz Europa verstreut war, traf sich alljährlich zur Sommerfrische in den Schweizer Bergen. Anne Franks Großmutter Alice führte als Bankiersgattin ein weltoffenes Haus in Frankfurt, bis die Familie nach London, Basel und Amsterdam übersiedelte, das dann zum Schicksalsort der Familie werden sollte.
Wie durch ein Wunder haben zahllose Briefe, Dokumente und Fotos der Familie Frank auf dem Dachboden des Elternhauses von Buddy Elias in der Baseler Herbstgasse überlebt und wurden dort vor einiger Zeit von seiner Frau Gerti Elias entdeckt – ein Sensationsfund. Die wunderbare Erzählerin, Schriftstellerin und Übersetzerin Mirjam Pressler hat daraus die so einzigartige wie exemplarische Geschichte der deutsch-jüdischen Familie Frank zusammengefügt, die sich liest wie ein großer schicksalhafter Familienroman.
Gerti Elias heiratete 1965 Buddy Elias, den Cousin Anne Franks. Der Schauspieler starb am 16. März 2015 im Alter von 89 Jahren in Basel.
Zum Projekt
"Frankfurt liest ein Buch" fand in diesem Jahr zum sechsten Mal statt und zählte mehr als 12000 Besucher, die an fast 100 Veranstaltungen teilnahmen. Das Projekt wurde vom gemeinnützigen Verein "Frankfurt liest ein Buch e.V." initiiert und vom Engagement zahlreicher Frankfurter Institutionen, Vereine, Buchhändler, Privatpersonen und Prominenten unterstützt. In diesem Jahr beteiligen sich rund 70 Kooperationspartner. Schirmherr ist der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann.