Forderung der Verwertungsgesellschaften

Verlage sollen 100 Millionen Euro zurückzahlen

27. November 2015
von Börsenblatt
2015 war in mancher Hinsicht kein gutes Jahr für die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Branche – aber das eigentlich dicke Ende steht den Verlagen noch bevor, meint Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang. Er informiert über die aktuelle Lage in den Verwertungsgesellschaften und gibt Tipps zum Umgang mit den bevorstehenden Rückforderungen von VG Wort, VG Bild-Kunst, GEMA & Co.

Das Jahr 2015 wird wohl als annus horribilis in die Geschichte des Verlagsrechts eingehen. Im Frühjahr schockierte der Bundesgerichtshof die Branche mit einem Urteil, in dem er Bibliotheken zu digitalen Kopierstationen für urheberrechtlich geschützte Werke umfunktionierte. Im Sommer lehnten es die Finanzministerien von Bund und Ländern ab, die prohibitiven Regelungen zur Umsatzbesteuerung von Print-Online-Produktkombinationen ("E-Bundles") für die Branche besser handhabbar zu machen. Im Herbst veröffentlichte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz einen Referentenentwurf, mit dem das schon länger problematische Urhebervertragsrecht um einige für Urheber und Verlage gleichermaßen schädliche Regelungen ergänzt werden soll. In den nächsten Tagen wird nun auch noch etwas geschehen, was in vielen Verlagen nicht nur die Zahlungen von Weihnachtsgeld an die Mitarbeiter in Frage stellen könnte: Gezwungen durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs müssen die VG Wort und andere deutsche Verwertungsgesellschaften jedem deutschen Verlag Schreiben senden, mit denen sie hohe Beträge zurückfordern, die im Jahr 2012 an die Verlage ausgeschüttet worden waren.

Ausgangspunkt: Das EuGH-Verfahren Hewlett Packard Belgium gegen Reprobel

Zum rechtlichen Hintergrund: Hewlett Packard und verschiedene andere Hersteller von Vervielfältigungsgeräten sind gegen die belgische Verwertungsgesellschaft Reprobel vor Gericht gezogen, um eine Verringerung der urheberrechtlichen Kopierabgaben für ihre Geräte zu erstreiten. Der Rechtstreit landete beim EuGH. Diesem wurde unter anderem die Frage vorgelegt, ob es mit europäischem Recht vereinbar ist, dass der belgische Gesetzgeber neben den Urhebern auch die Verlage von den Geräteabgaben profitieren lässt.

In seinem Urteil vom 12. November folgt der EuGH einer ausgesprochen simplen Argumentationslinie:

  • Nach der Richtlinie 2001/29 der Europäischen Union muss den dort in Artikel 2 genannten Rechteinhabern vom Gesetzgeber ein gerechter Ausgleich zugesprochen werden, soweit ein Mitgliedsstaat der EU deren Rechte durch eine Privatkopieschranke einschränkt.
  • Verlage sind in der Auflistung der Rechteinhaber in Artikel 2 nicht genannt. Der gerechte Ausgleich soll den Rechteinhabern den Nachteil ersetzen, den sie durch die Einschränkung ihres Vervielfältigungsrechts durch die Privatkopieschranke erleiden. Weil Verlage in der Richtlinie nicht genannt sind, haben sie kein eigenes solches Recht und es kann ihnen, der Logik folgend, auch kein Nachteil entstehen.
  • Verlage können deshalb keinen Anteil an dem gerechten Ausgleich erhalten, wenn dadurch der gerechte Ausgleich für die Berechtigten geschmälert wird, und der Gesetzgeber darf eine solche Beteiligung nicht vorsehen.

Das Dilemma der Verwertungsgesellschaften

Das erwähnte Urteil betrifft zwar einen Fall aus Belgien und damit ein Rechtssystem, das sich in vielen Punkten wesentlich von den in Deutschland geschaffenen rechtlichen Strukturen unterscheidet. Auch hierzulande sind aber in den letzten Jahren verschiedene Urheber zu Gericht gezogen mit dem Ziel, Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften an Verlage zu unterbinden. Das erste Verfahren dieser Art hat der Autor Martin Vogel vor einigen Jahren gegen die VG Wort eröffnet. Nachdem Vogel mit seiner Klage – aus ganz anderen Gründen als den jetzt vom EuGH gefundenen – sowohl beim Landgericht als auch beim Oberlandesgericht München erfolgreich war, hat die VG Wort Revision eingelegt. Der Bundesgerichtshof, vor dem das Revisionsverfahren stattfindet, hat Ende 2014 beschlossen, den Prozess auszusetzen und darauf zu warten, wie der EuGH die Sache Hewlett Packard Belgium gegen Reprobel entscheidet.

Aufgrund der Risiken aus dem Verfahren Vogel gegen VG Wort hatten die VG Wort und andere Verwertungsgesellschaften bereits ihre Ausschüttungen an Autoren und Verlage in den Jahren 2012 bis 2014 unter Rückforderungsvorbehalt gestellt. Nach dem Aussetzungsbeschluss des Bundesgerichtshofs im Vogel-Verfahren hatte die VG Wort in 2015 nur Gelder an Verlage ausgeschüttet, die ihr für den Fall der Rückforderung eine schriftliche Rückzahlungsgarantie gegeben haben. Schon diese Maßnahmen basierten auf Gutachten von Anwälten, die von Geschäftsführung und Gremien der Verwertungsgesellschaft in Auftrag gegeben wurden, um Haftungsrisiken zu vermeiden.

Nach dem EuGH-Urteil vom 12. November haben sich VG Wort, GEMA und VG Bild-Kunst nun aktuelle Rechtsgutachten erstellen lassen. Darin sehen die juristischen Gutachter die Beteiligung von Verlagen an gesetzlichen Vergütungsansprüchen "mehr denn je in Frage gestellt". Wegen dieser verschlechterten Prognose raten sie den Gesellschaften zum einen, Einnahmen aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen bis zur Entscheidung des BGH im Fall Vogel ./. VG Wort nicht mehr an Verlage auszuschütten. Zum anderen weisen sie darauf hin, dass den Verlagen gegen die Rückforderung von Geldern, die sie in 2012 unter Vorbehalt erhalten haben, ab dem 1. Januar 2016 die Einrede der Verjährung möglich ist. Als Sicherungsmaßnahme empfehlen sie deshalb, die in 2012 an die Verlage geleisteten Ausschüttungen – alleine bei der VG Wort 40 Millionen Euro, über alle Verwertungsgesellschaften hinweg wohl an die 100 Millionen Euro – vorsichtshalber noch in 2015 in einer die Verjährung unterbrechenden Weise zurückzufordern.

Die Entscheidungsträger der Verwertungsgesellschaften hatten angesichts der ihnen in den Gutachten aufgezeigten persönlichen Haftungsrisiken keine andere Wahl, als die Einleitung der ihnen empfohlenen Sicherungsmaßnahmen zu beschließen. Dies führt dazu, dass alle Verlage, die im Jahr 2012 Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften bekommen haben, in den nächsten Tagen anwaltliche Schreiben erhalten, mit denen mit kurzer Frist die Rückzahlung dieser Beträge eingefordert wird.

Verjährungsverzichtserklärung als Ausweg

Der Erhalt eines solchen Schreibens bedeutet für die Verlage allerdings nicht, dass sie die geforderten Gelder tatsächlich sofort zurückzahlen müssen. Vielmehr haben sie die Wahl zwischen drei Möglichkeiten:

  • Rückzahlung der geforderten Beträge. Wählt ein Verlag diese Option, dann bewahrt die Verwertungsgesellschaft die von ihm zurückgezahlte Summe so lange auf, bis sich die Rechtslage in Deutschland geklärt hat. Danach wird das Geld entweder erneut an den Verlag ausgezahlt oder von der Verwertungsgesellschaft entsprechend der dann geklärten rechtlichen Verhältnisse verwendet.
  • Nichtstun. Entscheidet sich der Verlag dafür, der Rückforderung nicht zu entsprechen, muss er damit rechnen, dass er unmittelbar nach Verstreichen der gesetzten Zahlungsfrist einen Mahnbescheid über die fragliche Summe erhält. Legt er gegen diesen Widerspruch ein, wird innerhalb von sechs Monaten ein gerichtliches Verfahren eröffnet. In diesem kann der Verlag darlegen, warum er sich nicht zur Rückzahlung verpflichtet sieht. Er kann also rechtliche Gründe gegen den Anspruch vorbringen oder auch nachweisen, dass er – wie es in der Juristensprache heißt – "entreichert" ist, also das ihm gezahlte Geld sich nicht mehr in seinem Vermögen befindet.
  • Abgabe einer Verjährungsverzichtserklärung. Die wohl einfachste und eleganteste Möglichkeit, mit der geltend gemachten Forderung umzugehen, ist die Abgabe einer sogenannten Verjährungsverzichtserklärung, die in dem Anwaltsschreiben der Verwertungsgesellschaft vorformuliert enthalten ist. Damit verzichtet der Verlag darauf, sich hinsichtlich der geltend gemachten Rückforderung – für eine bestimmte Zeit – auf die Einrede der Verjährung zu berufen. Dadurch gewinnt die Verwertungsgesellschaft Zeit, die endgültige Klärung der deutschen Rechtssituation abzuwarten. Erst dann müssen ihre Gremien darüber entscheiden, ob die Ausschüttungen wirklich zurückgefordert werden müssen. Da bis zu einem abschließenden Urteil im Verfahren Vogel gegen VG Wort unter Umständen noch mehrere Jahre vergehen können, verschiebt sich durch die Wahl dieser Option auch die Entscheidung des Verlags, ob er sich eventuell später noch gegen die Rückforderung zur Wehr setzen will.

Wichtig für die Verlage ist auf jeden Fall, dem oder den Rückforderungsschreiben der von den Verwertungsgesellschaften beauftragten Anwaltskanzleien höchste Beachtung zu schenken und unverzüglich darauf zu reagieren. Wird ein Verlag nicht innerhalb der gesetzten Frist tätig, wird ein Mahnverfahren eingeleitet, das auch dann mit Kosten verbunden ist, wenn der Verlag seine Verjährungsverzichtserklärung verspätet abgibt.

Auswirkungen auf die Bilanz von Verlagen

Auch wenn sich ein Verlag dafür entscheidet, eine Verjährungsverzichtserklärung abzugeben und die juristische Klärung der Angelegenheit abzuwarten, wird er sich gleichwohl damit auseinandersetzen müssen, wie er in seinem Jahresabschluss 2015 mit der Forderung der Verwertungsgesellschaft umgeht. Entscheidet er sich aus kaufmännischer Vorsicht für die Bildung einer Rückstellung – wie es manche Verlage im Hinblick auf das Verfahren Vogel gegen VG Wort bereits für die Ausschüttungen 2012 bis 2014 getan haben −, dann wird dies unmittelbar ergebniswirksam und verschlechtert sein Jahresergebnis entsprechend.

Bei der Bewertung des Risikos, ob sich die Rückforderung der Gelder tatsächlich realisieren wird, ist allerdings unbedingt der jeweilige individuelle Sachverhalt zu analysieren. Auch wenn die spätere Rückforderung in den Augen der juristischen Gutachter "wahrscheinlicher denn je" ist, kann die Entscheidung des BGH nicht sicher vorhergesagt werden. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein eventuell für die Verlage negatives Urteil des BGH später durch das Bundesverfassungsgericht aufgehoben wird, das nach ständiger Rechtsprechung auch den Verlagen für die Nutzung ihrer Werke Schutz durch das Grundrecht auf Eigentum zubilligt.

Die Entscheidung über den bilanziellen Umgang mit dem Vorgang sollte jeder Verlag deshalb gründlich mit seinem rechtlichen Berater erörtern. Eventuell ist es auch möglich, mit der Aufstellung der Bilanz abzuwarten, wie das Verfahren Vogel ./. VG Wort weitergeht. Der Bundesgerichtshof hat die Verhandlung darüber für den 10. März 2016 angesetzt. Es kann – muss aber nicht – sein, dass eine Entscheidung des Gerichts schon am Folgetag ergeht.

Ausblick

Bleibt die Frage, wie es um die Perspektiven der Verlage für das Jahr 2016 bestellt ist. Hier ist zunächst einmal davon auszugehen, dass die Verwertungsgesellschaften zum Jahresende erneut – dieses Mal hinsichtlich der im Jahr 2013 erfolgten Ausschüttungen – mit Rückforderungsansprüchen an die Verlage herantreten müssen. Auch der Kampf an den verschiedenen juristischen Fronten wird zumindest für den Börsenverein unvermindert weitergehen. So unterstützt der Verband die Verfassungsbeschwerde des Ulmer-Verlags gegen das BGH-Urteil zu den digitalen Kopierstationen in Bibliotheken. Auf seine Anregung und Unterstützung hin ist zudem der Verlag C.H. Beck dem Verfahren Vogel gegen VG Wort beigetreten und hat dadurch die Option, ein eventuelles negatives Urteil gegen die Verlage vom Bundesverfassungsgericht auf Grundrechtsverstöße überprüfen zu lassen.

Von zentraler Bedeutung wird aber auch sein, ob es dem Börsenverein gemeinsam mit allen anderen europäischen Verlegerverbänden gelingen wird, die katastrophale Entscheidung des EuGH in Sachen Hewlett Packard Belgium gegen Reprobel für die Zukunft zu korrigieren. Dazu müssten EU-Kommission, EU-Parlament und der Ministerrat bewegt werden, im europäischen Recht ausdrücklich klarzustellen, dass Verlage an den Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften für gesetzliche Vergütungsansprüche zu beteiligen sind.

Bei all diesen Vorhaben, aber auch bei den Auseinandersetzungen um die Reform des Urhebervertragsrechts oder demnächst um die Einführung einer sog. Allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke muss die Branche alle ihre Kräfte bündeln, um erfolgreich zu sein. Nur gemeinsam und zusammen mit den Autoren können wir dafür sorgen, dass die Branche einen rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen behält, der kulturelle Vielfalt sichert und Urhebern, Verlagen und Buchhandel wirtschaftlichen Erfolg ermöglicht.

Bitte unterstützen Sie den Verband, wenn wir in unserer Arbeit in nächster Zeit direkt auf Sie zukommen, oder melden Sie sich in der Rechtsabteilung (rechtsabteilung@boev.de), wenn Sie über Ihre Kontakte Vorschläge für eine Unterstützung anbieten können.

Christian Sprang