Die Urheberrechtsreform und ihre möglichen Folgen

Angriff auf den Verlag

17. Dezember 2015
Redaktion Börsenblatt

Hier eine Ausnahme für Bildungszwecke, dort die Entkopplung von Autor und "Verwerter", bald die automatische Textanalyse – das Urheberrecht soll modernisiert werden, doch durch die Summe der Eingriffe droht eine Erosion des ursprünglichen Schutzgedankens.

Dass die VG Wort und mit ihr weitere Verwertungs­gesellschaften von Verlagen möglicherweise bald über 400 Millionen Euro an Ausschüttungen aus den Jahren 2012 bis 2015 zurückfordern müssen (siehe dazu den Beitrag von Chris­tian Sprang, Justiziar des Börsenvereins, in Börsenblatt 49 / 2015), ist der traurige Höhepunkt einer Entwicklung, die das Urheberrecht und die von ihm abgeleiteten Verlagsrechte seit Jahren in Mitleidenschaft zieht. Sollte der Bundesgerichtshof im Verfahren zwischen dem Autor Martin Vogel und der VG Wort die Begründung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) übernehmen, träte der Worst Case ein. Und es ist nicht sicher, dass noch eine juristische Lösung gefunden werden kann, die dies verhindert. Für die Verlage würde es dann ernst: Sie müssten aus kaufmännischen Gründen Rückstellungen bilden. Dadurch wird das Jahresergebnis belastet  – unter Umständen so, dass eine Überschuldung droht und die Fortführung des Geschäftsbetriebs nicht mehr gesichert ist.

Grundlage der Reprobel-Entscheidung des EuGH und vieler legislativer Schritte auf nationaler Ebene ist die 2001 beschlossene "Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft" (kurz InfoSoc), an deren Nachfolgerin gerade in Brüssel gearbeitet wird. Ihr werden handwerkliche Mängel unterstellt, die unter anderem die Beteiligung von Verlagen an Vervielfältigungsentgelten betreffen. In Artikel 2 der Richtlinie, darauf weist etwa der Tübinger Verleger Titus Häussermann ­(Silberburg-Verlag) hin, werden als Schutzberechtigte und somit Vergütungsempfänger zwar Urheber genannt, nicht aber Verlage. Dies gelte auch im deutschen Urheberrecht, betont immer wieder der Autor Martin Vogel.

Der "überflüssige" Vermittler 

Ob es sich nur um einen gesetzgeberischen Lapsus handelt, dessen gravierende Folgen jetzt bitter aufstoßen, oder aber um ein Gar-nicht-in-Betracht-Ziehen, ist schwer zu entscheiden. Vielmehr hat es den Anschein, als ob das Mantra vieler Digitalisierungsbefürworter, dass im Internetzeitalter kein Vermittler mehr zwischen Autor und Leser treten müsse, in Politik und Teilen der Justiz auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Die Möglichkeiten des digitalen Publizierens und der unmittelbaren Zugänglichmachung von Inhalten haben ein Klima erzeugt, in dem alles (scheinbar ohne Aufwand) Produzierte als unmittelbar konsumierbar und verfügbar erscheint.

Die geistige, materielle, wirtschaftliche Anstrengung und Ausdauer, die notwendig sind, um Bücher und Verlagsprogramme hervorzubringen, geraten so aus dem Blick. Da kann dann auch einmal so etwas wie der Verlag vergessen werden, oder das Modell der symbiotischen Beziehung von Autor und Verlag gleich ganz verworfen werden, wie dies beispielsweise die Autoren des "Berliner Gedankenexperiments" aus rechtssystematischen Überlegungen tun. "Das Urheberrecht wird auf den Urheber ausgerichtet und kann nicht auf einen Verwerter übertragen werden", heißt es in dem Thesenpapier, das unter anderen vom Berliner Kultursenator Tim Renner unterzeichnet wurde, und dessen gedankliches Fundament in dem von Google mitgetragenen Verein Internet & Gesellschaft Collaboratory gelegt wurde. Da Urheber- und Verwerterinteressen divergierten, eröffne die Vermischung beider "Raum für manipulative Argumente, die Fehlentwicklungen fördern", steht in dem Papier. Dieser Lesart zufolge vertreten Verlage, die sich für das Urheberrecht und dessen Schutz aussprechen, nur vordergründig die Interessen des Autors und primär die eigenen (wirtschaftlichen) Interessen. Dem Konzept der "abgeleiteten" Rechte wird in dem "Experiment" daher auch eine Absage erteilt.

Der Wert der Arbeitsbeziehung 

Die hier unterstellte Asymmetrie von Autor und Verlag verkennt, wie wichtig das kollaborative Verhältnis beider ist. Viele Werke, ob ein Roman, ein Sachbuch oder ein wissenschaftliches Werk, entstehen erst in der Arbeitsbeziehung zwischen Autor, Lektor und gegebenenfalls Übersetzer. Bis aus einem eingereichten Manuskript ein fertiges Buch geworden ist, das an den Buchhandel ausgeliefert wird, sind viele Überlegungen, Planungs- und Arbeitsschritte nötig, in die alle Abteilungen eines Verlags eingebunden sind, von der Programmplanung über Lektorat und Herstellung bis hin zu Presse und Marketing. Ein Verlag produziert zudem nicht nur einzelne Titel, "sondern schafft mit jedem Programm ein Stück gelebte Kultur", wie Reimer Ochs, Justiziar von S. Fischer, es formuliert.
Diese grundlegenden Einsichten, an die in diesen Tagen auch viele Verleger erinnern (etwa Gunnar Cynybulk im "Freitag" oder Jörg Sundermeier in der "FAZ"), scheinen an Überzeugungskraft verloren zu haben. Das zeigt sich schon an der Wortwahl: Verlage werden in den Diskussionsbeiträgen zur Urheberrechtsreform meist als "Verwerter" bezeichnet. Der ursprüngliche Vorstellungsgehalt des "Vorlegens", also Investierens in ein Projekt, dessen wirtschaftlicher Ausgang in vielen Fällen offen ist, wird überschrieben mit einem Begriff, der im schlimmsten Falle mit Bereicherung und Ausbeutung konnotiert ist.

So verwundert es nicht, dass sowohl der Kläger Martin Vogel als auch die Europa-Abgeordnete Julia Reda das "Ausbooten" der Verlage (siehe Börsenblatt 47 / 2015) auch mit der Notwendigkeit eines sozialen Ausgleichs für die (in prekären Verhältnissen lebenden) Autoren begründen. Dass der Entzug von Verlagsmitteln, die beispielsweise in Vorschüsse für Autoren fließen, am Ende die Honorarbasis schmälert, kommt ihnen nicht in den Sinn. Dabei ist es doch in der großen Zahl der Fälle so – wenn man einmal die sogenannten Bezahlverlage ausklammert –, dass Verlage die Verfasser von Manuskripten doch erst zu den Autoren machen, als die sie später vom Lesepublikum und der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Das Konzept des isolierten Urhebers, der frei über die Nutzung seiner Werke verfügt, und allenfalls Werknutzungsbewilligungen erteilt, sorgt ­gerade nicht für die Unabhängigkeit, die sich die Gedanken­experimentatoren davon versprechen. Es spielt vielmehr Aggregatoren in die Hände, die Leistungen anderer, in die sie nicht investiert haben, gewinnbringend nutzen.

Das zeigt exemplarisch die im Referentenentwurf zum neuen Urhebervertragsrecht vorgesehene Fünfjahresfrist für die Rechteübertragung, nach deren Verstreichen ein Herauskaufen von Autoren aus einem Verlag möglich wäre. Wie auch im Fall der Gerätevergütung wird hier argumentativ mit der "Stärkung" des "schwachen" Urhebers gearbeitet; dass am Ende Verlage auf der Strecke bleiben und Konzerne wie Amazon und Google die Gewinner sind, will man nicht wahrhaben.

Offener Brief an die Bundesregierung 

Den Verlust an Planungssicherheit und die Gefahren für das "Modell Verlag", die aus diesem Gesetzentwurf resultieren, hat ein offener Brief an die Bundesregierung benannt, den mehr als 250 Autoren, Agenten und Verleger unterzeichnet haben. Die "vorgelegte Gesetzesnovelle" sei "kontraproduktiv", weil sie allenfalls die Stellung weniger Erfolgsautoren "auf Kosten der langfristigen Bindungsfähigkeit" vor allem mittlerer und kleinerer unabhängiger Verlage verbessere. Die Unterzeichner fordern ein Urheberrecht, das neben der Kreativität und Selbstbestimmung der Autoren auch die Leistungen der Verlage schützt.

Im Fall des Paragrafen 52b Urheberrechtsgesetz, den der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom April dieses Jahres extensiv ausgelegt hatte, werden die Gewichte nicht (vermeintlich) zugunsten der Urheber, sondern (vermeintlich) zugunsten der Nutzer verschoben. Die Praxis, am Bildschirm angezeigte Werke nicht nur auf einen USB-Stick zu laden, sondern auch in Teilen auszudrucken, wurde durch das Gericht sanktioniert. Man wird genau beobachten müssen, ob die auf nationaler Ebene geplante Bildungs- und Wissenschaftsschranke Justizentscheidungen wie die zum Paragraf 52a festschreibt oder ob sie Lizenzangeboten der Verlagshäuser einen tatsächlichen Vorrang einräumt – im Interesse einer fairen Beteiligung der Verlage.

Das Geschäftsmodell Verlag wird darüber hinaus noch durch weitere Eingriffe in das Urheberrecht angetastet – unter anderem durch das auf europäischer Ebene geplante sogenannte Text & Data Mining, das die lizenzfreie automatische Analyse von Werken erlaubt. So mag es vielleicht angehen, dass eine computerlinguistische Analyse der Werke Agatha Christies Hinweise darüber liefert, ab wann die Autorin an Alzheimer erkrankte. Es könnten aber auch Werkauswertungen möglich werden, die ­einen Mehrwert auf Kosten des Autors eines analysierten Werks generieren.

Würden alle geplanten Eingriffe auf nationaler oder europäischer Ebene Gesetz, hätte das privatwirtschaftliche Modell des Verlegens kaum eine Überlebenschance. An die Stelle eines liberalen, die Vielfalt sichernden Verlagswesens träte dann eine merkwürdige Allianz aus Selfpublishern und öffentlich-rechtlich finanzierten Publikationsservern, die in seltener Einmütigkeit mit großen Suchmaschinenbetreibern und Plattformanbietern die Content-Versorgung sicherstellen.

Lesen Sie zum Thema auch das Interview mit Thorsten Schäfer-Gümbel und das Gespräch mit dem scheidenden Justiziar von S. Fischer, Reimer Ochs, in Börsenblatt 51 / 2015 vom 17. Dezember.