Die Sonntagsfrage

Weshalb bleibt große US-Literatur in Deutschland mitunter unbeachtet?

8. Mai 2015
Redaktion Börsenblatt
Große US-Literatur geht auch hierzulande meistens gut – doch nicht immer. Martin Hielscher, Programmleiter Belletristik bei C.H. Beck, schildert einen spektakulären Fall von ausgebliebener Resonanz und sucht nach Antworten.

In der Regel wird große US-Literatur, weltweit immer noch die Hegemonial-Literatur, die fast überall die Märkte beherrscht und nicht selten die Aufmerksamkeit der Literaturkritik dominiert, zügig und breit besprochen und beachtet und gut verkauft. Das gilt für die Unterhaltungsliteratur wie für Hochliteratur, wobei ja gerade die anglo-amerikanische Literatur zeigt, dass es lauter fließende Übergänge zwischen U und E gibt: Was die Poetologie zukünftiger Prosa anbelangt, ein besonders interessantes Thema.

Noch nie aber habe ich so etwas erlebt wie mit Anthony Doerrs Roman „Alles Licht, das wir nicht sehen“ (All the Light we cannot see), der gerade mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet worden und bereits im Herbst 2014 auf Deutsch bei C.H.Beck erschienen ist. Im Frühjahr erfolgte im Literaturprogramm des Verlags eine trotzige Sonderausgabe, auch die bislang, was die Kritik in den Printmedien anbelangt, weitgehend resonanzlos. Eine größere Diskrepanz zwischen dem Erfolg in den USA und vielen anderen Ländern (der Roman ist in 38 Länder verkauft) mit einer bisherigen Gesamtauflage von 1,7 Mio. Exemplaren und der völligen Nicht-Beachtung im deutschsprachigen Hochfeuilleton habe ich in meiner 23jährigen Lektorenlaufbahn noch nicht kennengelernt.

Woran kann das gelegen haben? Einschränkend muss man sagen, dass die Buchhändlerinnen und Buchhändler, die diesen Autor bereits aus zwei früheren Veröffentlichungen im Beck-Literaturprogramm kannten, seine Bücher lieben und „Alles Licht, das wir nicht sehen“ auch so 20.000-mal verkauft haben. Auch auf den entsprechenden Internetplattformen sieht die Welt anders aus, hier gibt es eine intensive Leserdiskussion und emphatische Kommentare. Aber natürlich hat dieses Buch mehr Beachtung verdient.

Anthony Doerrs Roman, den Barack Obama zu Weihnachten verschenkte, erzählt eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, die Begegnung zwischen einem blinden französischen Mädchen und einem jungen deutschen Wehrmachtssoldaten, einem Waisenjungen aus dem Ruhrgebiet, beides fast noch Kinder. Er spart die Schrecken des Krieges und des Holocaust nicht aus und erzählt doch auch noch eine ganz andere Geschichte. Dabei spielt das Radio, für die damalige Kriegsführung eine wichtige Technologie, eine vielfältige und entscheidende Rolle. In ihren Ausläufern reicht Doerrs Geschichte bis in das Jahr 2014. Der Roman hat 518 Seiten, aber raffiniert, wie er konstruiert, und spannend und wunderschön, wie er geschrieben ist, liest man gefühlte 200 Seiten und bleibt am Ball.

Was ist passiert? Vielleicht war man des Kriegsthemas überdrüssig, zumal im Jahre 2014 das Gedenken an den Ausbruch des 1. Weltkriegs unsere Aufmerksamkeit mitunter strapazierte? Darf ein amerikanischer Autor vielleicht gerade nicht eine deutsche Hauptfigur haben, noch dazu einen deutschen Soldaten? Für uns im Verlag ist das Schicksal dieses Buches rätselhaft geblieben. Was am meisten irritiert, ist die Geschlossenheit dabei, jedenfalls im Feuilleton.