Die Sonntagsfrage

"Sind E-Books nicht langsam in der Normalität angekommen, Herr Thomas?"

8. Dezember 2017
von Börsenblatt
In München ist am Mittwoch mal wieder die E-Book-Konferenz über die Bühne gegangen, unter anderem mit einem Vortrag von Springers "Chief Book Stretegist" Niels Peter Thomas zur Zukunft der Buchpräsentation und des Lesens. Warum wir noch viele E-Book-Konferenzen brauchen und was künstliche Intelligenz mit Lesen zu tun hat, erklärt er in der Sonntagsfrage.

Die Antwort ist komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Natürlich gibt es Verlage, die schon seit mehr als 10 Jahren ihre komplette Frontlist digital als eBooks verlegen, die ihre Geschäftsmodelle angepasst haben und jetzt mehr als die Hälfte ihres Umsatzes mit eBook erzielen. Andere bieten viele digitale Inhalte an, sind aber ernüchtert, dass das neue Medium keine zusätzlichen Erlöse generiert. Und wiederum andere beginnen gerade damit, sich digitale Kompetenzen anzueignen.

Ich persönlich würde die Frage so beantworten: elektronische Bücher sind zwar normal, aber noch lange nicht angekommen!  Wenn wir ein eBook lesen, passieren im Gehirn andere Dinge als wenn wir ein gedrucktes Buch lesen. Das hat damit zu tun, dass das Lesen für das Gehirn eine vergleichsweise neue Aufgabe ist. Alphabete gibt es erst seit knapp 6000 Jahren, das Gehirn hat eine wesentlich längere Evolution hinter sich. Unsere Gehirne benutzen daher zum Lesen Kompetenzen, die für andere Aufgaben optimiert wurden, zum Beispiel zur räumlichen Orientierung. Räumliches Orientieren passt aber zu einem dicken, gedruckten Buch besser als zum zweidimensionalen Scrollen am Bildschirm. Das belegen auch reproduzierbare Experimente, bei denen Studenten, die aus einem gedruckten Buch lernen, bessere Prüfungsergebnisse erzielen als eine Vergleichsgruppe, die am Bildschirm liest. Da das mit unseren Gehirnstrukturen zusammenhängt, wird das auch in 100 Jahren noch so sein.

Kurzfristig kann man daraus schließen, dass beide Formate wichtig sind, sowohl das elektronische als auch das gedruckte. Aber langfristig schließe ich daraus, dass wir das elektronische Buch weiterentwickeln müssen, damit es besser zu der Art passt, wie unser Gehirn Informationen verarbeitet! Daher ist das eBook, so wie wir es kennen, zwar die bestmögliche Kopie des gedruckten Buches in der digitalen Welt, aber noch lange nicht optimal. Manche elektronischen Bücher werden so bleiben, wie sie sind, aber viele werden sich stark ändern.

Daher brauchen wir auch weiter eBook-Konferenzen, weil es noch viele technologische Fragen gibt, die wir beantworten müssen. Wie sorgen wir dafür, dass es die Bücher von heute auch in weiter Zukunft geben wird?  Dafür fehlen uns noch passende Speichertechnologien, die günstig und dauerhaft sind. Wie lösen wir das Problem der Raubkopien in der elektronischen Welt? Auch wenn alle Welt gerade über das neue Buzzword „Blockchain“ redet, denke ich, dass wir dieses Problem nur durch gute Geschäftsmodelle und nicht durch Technologie lösen können. Wie gehen wir damit um, wenn Bücher eines Tages durch Algorithmen oder KI übersetzt werden?

Das Digitale ist Normalität. Aber Digitalisierung hört nicht auf, sondern bleibt Herausforderung, insofern freue ich mich schon auf die nächste eBook-Konferenz.