Buchtage Berlin: Speeddating

"Wir können uns gut ergänzen"

23. Oktober 2015
von Nils Kahlefendt
Zu den Buchtagen trafen beim Speeddating des Startup-Clubs in Berlin Gründer und etablierte Marktteilnehmer aufeinander. Wir sprachen im Anschluss mit Kai Wels, seit kurzem Stabsleiter Digitale Produktentwicklung beim Beuth Verlag (Berlin).

Herr Wels, mit welchen Erwartungen sitzt man beim Speeddating auf der Unternehmerseite des Tischs?

Kai Wels: Für mich war das tatsächlich eine Premiere. Ich saß bislang meist auf der Seite, wo die Konzepte vorgestellt wurden - und auf der anderen Seite saß jemand, der einen sehr distinguiert und mit fragenden Augen anschaute, so dass man nie genau wusste: Hat er mich jetzt verstanden? (lacht) Insofern fand ich meine neue Rolle sehr spannend. Ich hatte keine großen Erwartungen, aber natürlich interessiert uns bei Beuth, wo sich im Verlagsbereich - und darüber hinaus - technologische Trends grundlegend hin entwickeln. Hat es Relevanz für eine Produktentwicklung, eine strategische Ausrichtung im digitalen Business? In diesem Zusammenhang konkrete Konzepte vorgestellt zu bekommen, fand ich sehr aufschlussreich. Es hat natürlich nicht immer in unser Fachverlags-Portfolio gepasst - aber es gab schon einige, bei denen ich mir mit einer gewissen Abstraktionsfähigkeit vorstellen könnte, dass weitere Kontakte sinnvoll sind.

Das Spektrum der teilnehmenden Startups war relativ breit?

Wels: Stimmt. Ich fand das gar nicht so schlimm. Es war für mich nicht so relevant, ob das Unternehmen jetzt noch in den Startblöcken steht oder sich schon in der Markteinführungs-Phase befindet. Spannend fand ich allerdings eher die ganz kleinen Unternehmen, die quasi als Ein-Mann-Firmen starten. Die Bandbreite auf der inhaltlichen Ebene fand ich etwas schwieriger. Das ist vielleicht der Neuheit des Formats geschuldet - und der Tatsache, dass in der Buchbranche nicht ganz so viele Startups unterwegs sind wie vielleicht in anderen, eher technologiegetriebenen Bereichen.

Kann die Buchbranche etwas von Startups lernen?

Wels: Auf jeden Fall, davon bin ich fest überzeugt. An Startups lässt sich relativ gut studieren, wie sich Ideen, Produkte und Prozesse entwickeln lassen. Aufgrund der meist relativ geringen Größe der Unternehmen ist eine ganz andere Dynamik zu beobachten. Die fehlt bei vielen Verlagen - auch wenn sie jetzt nach und nach erkennen, dass sie damit nicht mehr in der gewünschten Geschwindigkeit auf Marktveränderungen reagieren können. Und sich auch intern die Prozesse umstellen. Etwas, was wir auch bei Beuth auf der Agenda haben: Wie können wir Produkte schneller auf den Markt bringen, wie laufen überhaupt Entwicklungsprozesse? Das ist natürlich schon etwas, wo man sich von Startups etwas abkucken kann. Ich glaube auch, die Kreativität und den Geist, Dinge einfach mal zu machen... Gründer von Startups haben zwar alle ihren Plan im Kopf - aber der ist nie hundertprozentig in Stein gemeißelt. Man muss immer reagieren, sich auf Dinge einstellen, die man vorher nie kalkulieren konnte. In den klassischen Verlagshäusern setzt man sich meist hin, denkt sich was aus, es wird ein, zwei Jahre geschraubt - dann geht es an den Markt. Und floppt womöglich. Enger an den jeweiligen Zielgruppen, mit den Kunden gemeinsam arbeiten, testen, ausprobieren, sich im Zweifelsfall eingestehen, dass Fehler passieren können - das muss man künftig noch viel stärker tun.

Und umgekehrt? Hat auch die Buchbranche etwas zu geben?

Wels: Ich glaube, dass sich das sehr gut ergänzen kann. Immer nur zu hundert Prozent agil zu sein, zur Dynamik quasi verurteilt zu sein hat nicht nur Vorteile. Eine gewisse Beständigkeit, die Reflexion dessen, was man tut, ist sicher hilfreich. Ich selbst habe viele Geschäftsmodelle im Kopf gehabt, von denen ich nur wenige weiter verfolgt habe. Weil ich, glücklicher Weise, immer Leute in meinem Umfeld hatte, die mir meine Projekte wieder etwas auf Normalmaß zusammengestaucht haben. Die manchmal auch sagten: Mensch, lass' es, das bringt nix! Was die Einschätzung von Marktrelevanz, Akzeptanz bei den Kunden angeht – da haben bereits etablierte Verlage sicher einen gewissen Erfahrungsvorsprung.

Beide Seiten an einem Tisch - das kann also durch etwas bringen. Auch im irrsinnigen Speed der Sechs-Minuten-Taktung?

Wels: Ich glaube, dieses Format verlangt eine gewisse Abstraktionsfähigkeit. Meist läuft es ja so: Der Vertreter des Startups stellt seine Idee vor, man kann vielleicht noch ein oder zwei Fragen stellen...

Dann läutet die Glocke....

Wels: Richtig. Wenn man in der Art und Weise der Performance, in der Person des Vortragenden einen Anknüpfungspunkt findet, an dem sich einhaken lässt - dann tauscht man die Kontaktdaten aus und setzt sich später wieder zusammen.

Gab es diesen Punkt auch in Berlin?

Wels: Ich fand zwei Ideen sehr spannend: Einmal ging es um eine App, um kuratierte Inhalte im Fachmedienbereich, die sich maßgeblich an Studenten richten. Das ist natürlich eine Zielgruppe, die für uns große Relevanz besitzt. Der Produkt-Kern war noch nicht so weit, dass ich sagen würde, man könnte da über einen Einstieg reden. Da müsste man sicher noch dran arbeiten - vielleicht in einer Kooperation? Bei einer anderen Idee hat mich die technologische Ebene angesprochen, dahinter stand so etwas wie eine Recommendation Engine. Auch da würde sich eine Kooperation unter Umständen anbieten.

Alles in allem: Ein Termin, der sich gelohnt hat?

Wels: Man muss schauen, was man für sich mitnimmt. Auch viele der anderen vorgestellten Ideen fand ich interessant, auch wenn sie auf der Arbeitsebene für mich nicht unbedingt relevant sind. Zwei Unternehmen kannte ich bereits, da hat mich interessiert: OK, mal schauen, wo die gerade stehen. Ich sehe also, wo sich Trends im Markt entwickeln, die - wer weiß? - vielleicht übermorgen doch in meinem Arbeitsumfeld wichtig werden. Auch wenn es nicht ganz leicht ist, sich am zweiten Tag der Buchtage noch mal 60 Minuten lang in diesem Tempo zu voller Konzentration hochzufahren - es hat sich gelohnt.

Kai Wels arbeitet als Berater im Bereich Digitale Markenkommunikation, Online-Marketing und Social Media. Für Egmont Ehapa Media zeichnete er als Digital Product Manager für die strategische Weiterentwicklung des Online-Angebotes und die Erarbeitung neuer digitaler Geschäftsmodelle verantwortlich. Seit April 2015 ist er Stabsleiter Digitale Medien und Produktentwicklung beim Beuth Verlag. Der Berliner Fachverlag erwirtschaftet heute bereits rund 60 Prozent seines Umsatzes mit digitalen Produkten.