Buchtage Berlin: Deutsch-französische Erklärung an die Adresse der Politik

"Leistung von Autoren, Verlagen und Buchhandel verdient Respekt"

12. Juni 2017
von Börsenblatt
Gemeinsam für eine zukunftsweisende europäische Buchpolitik: Zum Auftakt der Buchtage Berlin 2017 haben Vertreter der französischen und deutschen Buchhandelsverbände einen Appell an die politischen Entscheidungsträger in Berlin, Paris und Brüssel gerichtet.

In der gemeinsamen Erklärung (im Wortlaut hier) fordern die Branchenverbände nachhaltige Strategien für die Buchkultur im digitalen Zeitalter. Unterzeichner sind neben dem Börsenverein die französischen Verbände Syndicat national de l’édition (SNE), Syndicat de la Librairie Française (SLF) und Syndicat des Distributeurs de Loisirs Culturels (SDLC).

Die Interessenvertretungen appellieren an die Politik, die gemeinsame Rechtewahrnehmung durch Verlage und Autoren zu sichern, Bildungs- und Wissenschaftsverlage in der aktuellen Urheberrechtsdebatte zu stärken und Lizenzangeboten grundsätzlich den Vorrang vor Schrankenregelungen zu geben. Der Appell enthält auch den Wunsch nach einem klaren Bekenntnis zur Buchpreisbindung, nach einem intensiven Einsatz für den reduzierten Mehrwertsteuersatz für E-Books sowie nach praxisgerechten Strategien für Interoperabilität und Barrierefreiheit für digitale Buchformate.

Die Buchtage stehen in diesem Jahr, wie berichtet, im Zeichen des deutsch-französischen Austauschs − Anlass ist Frankreichs Gastauftritt bei der Frankfurter Buchmesse im Herbst. Branchenvertreter der beiden Nachbarländer nutzen die Buchtage deshalb auch, um ein Zeichen gegenüber den politischen Entscheidungsträgern in Frankreich, Deutschland und auf EU-Ebene zu setzen. "Im Austausch über Strategien und Lösungen und im gemeinsamen Eintreten für die Rechte von Buchhandlungen und Verlagen, aber auch für freiheitliche, demokratische Werte können wir viel erreichen", so Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller heute bei der Eröffnung der Buchtage im Berliner Kongresszentrum bcc am Alexanderplatz. 

"In Zeiten, in denen sich einige Länder der Welt zunehmend ins Nationale zurückziehen und isolieren, kann Europa mit einer Dynamik der Offenheit antworten. Hier spielt das Buch eine entscheidende Rolle: Es ist die tragende Säule unserer Bildung, wichtiger Motor für Integration und Grundlage des gesellschaftlichen Lebens. Die deutsch-französische Zusammenarbeit kann und sollte einen wichtigen Beitrag bei diesem Bestreben leisten", ergänzte Vincent Montagne, Präsident des französischen Verlegerverbandes SNE.

Hintergrund der gemeinsamen Erklärung sind die zahlreichen Reformvorhaben auf nationaler wie europäischer Ebene, die die Rahmenbedingungen der Buchbranche grundlegend betreffen. Mit dem Reformpaket für den Digitalen Binnenmarkt etwa stelle die Europäische Kommission derzeit Weichen, die den Zugang zu Inhalten im digitalen Zeitalter vereinfachen sollen, so die Verbände. Die Vertreter der deutschen und französischen Buchbranche begrüßten die Pläne grundsätzlich, sehen allerdings den deutlichen Bedarf nach einer ausgewogenen und verhältnismäßigen Prüfung durch die Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament.

Für mehr Weitsicht im Reformprozess

"Innovative und gut funktionierende Publikationsstrukturen, die wir in Frankreich und Deutschland und in vielen anderen EU-Mitgliedstaaten kennen, sind über Jahrhunderte gewachsen. Der Wunsch nach einem einheitlichen Digitalen Binnenmarkt darf diese Strukturen und zugleich wesentlichen Garanten für kulturelle Vielfalt und Identität in Europa nicht opfern", sagte Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, heute bei der Vorstellung der Berliner Erklärung: "Die Zukunftsfähigkeit der europäischen Buchbranche kann nur durch eine weitsichtige und bedachte Herangehensweise an den Reformprozess garantiert werden."

Nur so könne die Buchbranche ihren Anspruch, einen wichtigen Beitrag zum Gelingen eine freien und demokratischen Gesellschaft beizutragen, erfüllen: "Leistungen von Autoren, Verlagen und Buchhandlungen verdienen Respekt und Rahmenbedingungen, die Arbeit und Investitionen, Kreativität und unternehmerisches Handeln auch ökonomisch ermöglichen."

In dem Papier fordern die Branchenverbände im Einzelnen

  • die Grundlage der bewährten gemeinsamen Rechtewahrnehmung durch Urheber und Verlage in Verwertungsgesellschaften zu sichern, indem die Beteiligung von Verlegern an deren Erlösen aufgrund ihrer Rolle als Inhaber übertragener Nutzungsrechte ausdrücklich ermöglicht wird. 

  • Bildung konsequent als einen unserer wichtigsten Rohstoffe zu begreifen und deshalb qualitativ hochwertige und vielseitige Lehrmittelangebote von Verlagen als wichtiges Element der Qualität von Bildung anzuerkennen. In Anbetracht der derzeit diskutierten Schrankenregelungen im Urheberrecht ist zu befürchten, dass das Gegenteil erreicht und Bildungs- und Wissenschaftsverlagen der wirtschaftliche Boden entzogen werden soll. 

  • den Wert und die Vielfalt sorgfältig kuratierter Inhalte als Grundstein unabhängiger und pluralistischer Meinungsbildung anzuerkennen und die Zukunft einer kritischen und engagierten Buchbranche zu fördern. Ausufernde Zugriffsmöglichkeiten für Nutzer und Institutionen ohne Lizenz würden die Investitionen der Branche gefährden. 

  • den vielfältigen und flexiblen Lizenzangeboten der Verlage generell den Vorrang vor Schrankenregelungen einzuräumen, da nur sie eine faire und angemessene Vergütung für Autoren und Verlage und damit einhergehend innovative und hochwertige Angebote für Studenten, Lehrende und Forscher gewährleisten.
  • die Rolle unabhängiger Buchhandlungen mit ihrem kultur- und bildungspolitischen Auftrag zu stärken – mit einem klaren Bekenntnis zu der in über zehn Mitgliedstaaten geltenden Buchpreisbindung, die immer wieder Gefahr läuft, durch Maßnahmen innerhalb des Reformpaketes für den Digitalen Binnenmarkt aufgeweicht zu werden.

  • urheberrechtlich geschützte Inhalte wie E-Books aus der geplanten Geoblocking-Verordnung auszunehmen, da die Regelung in dieser Form die Teilnahme kleinerer und mittelständischer Buchhandelsunternehmen am E-Book-Markt zugunsten weniger, großer Plattformen untergräbt. Nach jetzigem Stand der Verordnung müssten Buchhändler jeden Kunden in Europa gleichermaßen beliefern, was hohe Investitionen erfordern würde, die in Bezug auf die Marktgröße und die grenzüberschreitende Nachfrage nach E-Books unverhältnismäßig wären. Damit würde man letztlich den großen Plattformen das Feld überlassen.
  • sich dafür einzusetzen, dass mit dem Europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit ein Instrument geschaffen wird, das in einem konstruktiven Zusammenhang mit der Regelung zum Marrakesch-Vertrag steht und es daher vermeidet, die Unternehmen übermäßig zu belasten. Gleichzeitig muss die Regelung im Hinblick auf die technischen Anforderungen zukunftstauglich und entwicklungsoffen gestaltet werden.

  • im Interesse eines fairen Wettbewerbs und der Wahlfreiheit des Lesers die Interoperabilität in Bezug auf Formate und technische Schutzmechanismen von E-Books und Lesegeräten in der Richtlinie über "Vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte" zu verankern.
  • sich gemeinsam für eine rasche und lang erwartete Umsetzung der aktuellen Initiative der EU-Kommission hin zu einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz für elektronische Publikationen einzusetzen. 

"Gerade im sogenannten postfaktischen Zeitalter, in dem zwischen Fakten und Wissen auf der einen und gefühlten Wahrheiten auf der anderen Seite unterschieden werden muss, ist die Aufgabe von unabhängigen Verlagen und Buchhandlungen für einen freien Markt mit hochwertigen Medien wichtiger denn je," heißt es in dem Papier abschließend. Die Erklärung im Wortlaut finden Sie unter diesem Beitrag als Download.

Noch bis morgen diskutieren bei den Buchtagen Berlin rund 700 Teilnehmer aus Verlagen, Buchhandlungen und Dienstleistungsunternehmen unter dem Motto "Werte – Wandel – Verantwortung" im Kongresszentrum bcc am Alexanderplatz aktuelle Fragen aus Branche und Gesellschaft.