Börsenverein: Gemeinsame Sitzung der Fachausschüsse

Sanfter Schulterschluss, harte Grundsatzdebatten

12. November 2015
von Börsenblatt
Mehr miteinander zu reden als übereinander: Diesen klaren Auftrag haben die drei Sparten im Zuge der Verbandsreform bekommen. Die erste Nagelprobe stand am Donnerstagvormittag in Frankfurt an, mit der neuen, gemeinsamen Sitzung der Fachausschüsse. Preisbindung, Bundle-Besteuerung, digitale Vorschau: Bei der Premiere ging es um Themen, die alle in der Branche betreffen - und manchmal auch ans Eingemachte.

Ernsthaft und offen wie selten diskutierten Buchhändler und Verleger im Frankfurter Haus des Buches über die Themen der Stunde. Statt wie bisher beim (im Zuge der Reform aufgelösten) Branchenparlament in langen Stuhlreihen in Richtung Rednerpult zu blicken, saßen alle Mitglieder der drei Fachausschüsse im Konferenzmodus an einem Tisch. Zwischenbuchhändler Stefan Könemann moderierte die Runde und gab die Zielmarke vor: "Unsere Aufgabe ist es miteinander zu reden – damit wir die Positionen der Kollegen besser verstehen können."

Bundle-Besteuerung: "Es reicht nicht, formal korrekt zu fakturieren"

Dass es sinnvoller ist, Probleme erst einmal gemeinsam zu besprechen, zeigte sich beim Thema Bundle-Besteuerung. Denn auch wenn die so genannte Nichtbeanstandungsfrist am 31. Dezember 2015 abläuft: Sowohl bei den Buchhändlern als auch bei den Verlegern müssen noch viele ihre Hausaufgaben machen.

So berichtete Libri-Chef Eckhard Südmersen, dass das Barsortiment zwar seit einigen Wochen in der Lage sei, Datensätze mit geteiltem Mehrwertsteuersatz zu verarbeiten: "Aber: Uns wurde erst ein einziges Produkt von den Verlagen korrekt gemeldet." Ähnlich ist es beim VLB: Dort gibt es zwar eine neue Schnittstellendefinition für Bundle-Produkte - "doch uns fehlen konkrete Testdaten, um sicherzustellen, dass sie auch richtig verarbeitet werden können", so MVB-Geschäftsführer Ronald Schild.

Wichtig: Nicht nur Titel aus Fachverlagen sind von der Bundle-Besteuerung betroffen, sondern genauso auch Bilderbücher oder Reiseführer mit geschlossener Online- und App-Anbindung. Und: "Es bringt nichts, wenn die Verlage die Titel zwar formal korrekt fakturieren, aber die Splitting-Angaben nicht in den Datensätzen ausgewiesen sind," wie Detlef Büttner (Lehmanns Media) betonte. 

Er schilderte, welches Dilemma die bereits erfolgte Umstellung bei den Fachzeitschriften nach sich gezogen hat. Ausländische Verlage etwa würden den 19-Prozent-Anteil der digitalen Dienstleistung so gut wie nie ausweisen, da müsse der Handel ohnehin selbst ran und ein Steuersplitting vornehmen, so Büttner.

Nur: Wie sollen Print- und Online-Anteil in solchen Fällen gewichtet werden? Dazu soll es demnächst ein Merkblatt für die Mitglieder geben. Die aus empirischen Daten abgeleiteten Ratschläge skizzierte Büttner in der Sitzung vorab: Empfohlen wird ein Verhältnis von 90 : 10 bei Büchern und 75 : 25 bei Zeitschriften (denn im Zeitschriftengeschäft variieren die Modelle der Verlage sehr stark, zwischen einem Splittingverhältnis von 50 : 50 und 90 : 10).

Für Peter Kraus vom Cleff (Rowohlt) war das Thema Bundle-Besteuerung "ein gutes Beispiel dafür, dass sich die gemeinsame Sitzung lohnt – denn sonst hätten alle drei Fachausschüsse getrennte Appelle an die jeweils anderen Sparten gerichtet."

E-Book-Aktionspreise: "Realitätsnäher diskutieren"

Noch ein gutes Thema fürs direkte Gespräch: Die E-Book-Aktionspreise, die Zwischenbuchhändler Jens Klingelhöfer (Bookwire) erneut auf die Tagesordnung brachte. Wie berichtet, ist die Verkehrsordnung geändert worden – mit der Vorgabe, digitale Preisaktionen 28 Tage vor dem Start ans VLB zu melden, damit alle Händler die Chancen haben, darauf zu reagieren und damit zu werben.

Klingelhöfer appellierte an die Runde, solche Themen demnächst "realitätsnäher zu diskutieren". Der Versuch der Gleichbehandlung stoße auf handfeste technische Probleme und werde vom Markt nicht angewandt. "Wir haben etwas geregelt, an das sich niemand hält."

Dazu gab es allerdings energische Widerreden aus der Runde. Das Thema sei längst ausdiskutiert, so der Tenor. Es gehe vor allem darum, in der (rechtlich nicht bindenden) Verkehrsordnung für eine "möglichst faire Kommunikation" von Preisaktionen zu sorgen. Dem Ziel, eine "Informationskultur" zu schaffen, damit alle Händler teilnehmen können, wollte sich auch Klingelhöfer nicht verschließen. Er plädierte jedoch dafür, die Regelung  in sechs bis zwölf Monaten erneut kritisch zu überprüfen – ein Kompromiss, mit dem alle gut leben konnten.

Novelle zur Buchpreisbindung: "Berechtigter Wunsch der Branche"

Ein Update zu den geplanten Novellen des Buchpreisbindungsgesetzes und des Urhebervertragsrechts gab Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang.

Kernpunkt: Anders als von der Bundesregierung geplant, wird das ergänzte Preisbindungsgesetz nicht zum 1. Januar 2016 in Kraft treten können. Denn der Referentenentwurf, der E-Books dezidiert in das Gesetz aufnimmt und auch die grenzüberschreitenden Verkäufe der Preisbindung unterstellt, musste noch ein so genanntes Notifizierungsverfahren bei der EU-Kommission durchlaufen. Dabei wird geprüft, ob sich durch ein nationales Gesetz Konflikte mit dem EU-Recht ergeben.

Das dreimonatige Verfahren ist inzwischen abgeschlossen. Jetzt soll der Gesetzentwurf voraussichtlich noch in diesem Jahr in den Bundestag eingebracht werden. Neben der Preisbindung für E-Books und der Präzisierung bei den grenzüberschreitenden Verkäufen steht dabei noch ein dringender Wunsch auf der Liste der Branche: eine Passage, die klarstellt, dass es unzulässig ist, durch Absatzförderungsmaßnahmen einen verkappten Preiswettbewerb zu eröffnen.

Diese Präzisierung sei wichtig, weil es zum Thema Kundenbindungssysteme viele unterschiedliche Gerichtsurteile gebe, die keine klare Linie erkennen ließen, so Sprang. Ob es dem Börsenverein gelingt, den entsprechenden Passus in die Gesetzesnovelle zu heben, ist derzeit offen. In den Ministerien werde durchaus gesehen, dass es sich dabei um einen "berechtigten Wunsch" der Branche handele, bilanzierte Sprang.

VBL-TIX: "Wir werden im Dezember live gehen"

Zum Schluss der Sitzung berichtete MVB-Geschäftsführer Ronald Schild von den Produktneuerungen der Wirtschaftstochter – darunter das Titelinformationssystem VLB-TIX: "Wir sind im Zeitplan und werden im Dezember damit  live gehen", so Schild, der auf die 70 Testkunden aus der Branche verwies, die das System in den vergangenen Monaten intensiv geprüft haben. Aus dem Sortiment kam am Donnerstag noch der Wunsch, die digitale Vorschau so bald wie möglich mit einer Budgetierungsfunktion für den Buchhandel auszustatten. Ein Projekt, das im ersten Quartal 2016 auf der To-Do-Liste des VLB-TIX-Teams steht.

Weiteres Thema war das neue Preismodell beim Verzeichnis lieferbarer Bücher, das bei Verlagen durchaus für Unzufriedenheit sorge, wie Schild einräumte. Die Hoffnung, die Verlage mit dem finanziellen Anreizsystem bei ihrem sportlichen Ehrgeiz zu packen und für besser gepflegte Daten im VLB zu sorgen, scheint sich aber zu erfüllen: 38,8 Prozent der VLB-Titel haben Schild zufolge mittlerweile "Goldstatus", sind also bestens gepflegt. Die interne Zielmarke der MVB hatte zum Jahresende nur bei 25 Prozent gelegen.

buchhandel.de: "Andere Marktteilnehmer nicht ausschließen"

Längere Diskussionen, bei denen es auch hart zur Sache ging, löste der Tagesordnungspunkt buchhandel.de aus. Die "Spiegel"-Bestsellerliste verlinkt im Internet - nach intensiven Verhandlungen – nicht nur auf Amazon, sondern auch auf das Gemeinschaftsportal der Branche. Thalia-Chef Michael Busch kritisierte jedoch, dass buchhandel.de als "Markenzwerg" keinen Vertretungsanspruch für die Branche erheben könne. Es sei ein "Unding", andere Branchenteilnehmer durch die Vereinbarung mit dem "Spiegel" auszuschließen.

Vorsteher Heinrich Riethmüller machte dagegen deutlich, dass 1.000 Buchhandlungen hinter buchhandel.de stehen würden – und Thalia natürlich die Möglichkeit habe, mit dem "Spiegel" über einen eigenen Auftritt zu verhandeln.

Das Thema buchhandel.de ließ damit eine alte Grundsatzdiskussion über die Aktivitäten der Verbandstöchter neu aufflammen. Zwischenbuchhändler Oliver Voerster (KNV) fühlte sich an die Debatte rund um die mittlerweile verkaufte E-Book-Plattform libreka! erinnert und sprach von einem "Déjà-vu". Die Projekte der Wirtschaftsbetriebe würden immer wieder für Konflikte sorgen, so Voerster. Unter dem "Mantel allgemeiner Interessen" würden Vorhaben angestoßen, von denen sich größere Mitglieder oder ganze Gruppen im Verband auf die Füße getreten fühlten. "Wir brauchen keinen Konkurrenzkampf, sondern eine sinnvolle Aufteilung, bei der jeder das macht, was er am besten kann", so Voerster.

Das Ende der großen Fachausschuss-Debatte war dann wieder versöhnlich – und eine Besinnung auf Gemeinsamkeiten: Es seien spannende Diskussionen gewesen, die sich in den dreieinhalb Vormittagsstunden ergeben hätten, so das Schlusswort von Stefan Könemann. Für das nächste  Frühjahr ist eine Neuauflage der großen Runde geplant. Außerdem werden sich die Vorstände der Fachausschüsse einmal im Jahr zusammensetzen, um sich in kleinerem Kreis über die Sparten hinweg auszutauschen.

Nach der gemeinsamen Sitzung tagten die drei Fachausschüsse am Donnerstagnachmittag getrennt weiter. Den Bericht aus dem Sortimenter-Ausschuss lesen Sie hier. Was im Verleger-Ausschuss disktutiert wurde, erfahren Sie hier. Bei den Verlegern ging es dabei vor allem um das Urhebervertragsrecht und das aktuelle Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Thema Verwertungsgesellschaften. Der Bericht zum Ausschuss für den Zwischenbuchhandel ist hier abrufbar, darunter ein Plädoyer, mehr Geld in die Marktforschung der Branche zu investieren.

cro