Bayerischer Buchpreis 2017: Das war die Preisverleihung

"Eine Feier der Überschreitungen"

8. November 2017
von Börsenblatt
Von Franzobels Erzählstil war die Jury überwältigt - und beim Sachbuch von Andreas Reckwitz lobte sie die hohe intellektuelle Kompetenz des Autors: In München wurde am Dienstagabend der Bayerische Buchpreis vergeben. Eine Siegerkür auf offener Bühne, bei der sich die drei neuen Juroren durchaus streitlustig zeigten.

"Die Stellung des Schriftstellers ist miserabel!" Mit diesen Worten eröffnete Michael Then, Vorsitzender des Börsenvereins - Landesverband Bayern, den Gala-Abend zum Bayerischen Buchpreis 2017. Then, Fontane zitierend, wollte natürlich auf die aktuelle Lage der Literatur und der Verlagswelt Bezug nehmen: Wackelige Urheberrechtsfragen, Menschen, die ihr Leben ans Smartphone koppeln und so als (Print-)Leseabstinenzler eine neue Form des Analphabetismus vorbereiten. Da sind Buchpreise, Diskussionen in Sachen Literatur ein probates Gegenmittel.

Zum vierten Mal wurde am Dienstag in München der Bayerische Buchpreis vergeben (zur Preisträger-Meldung von Dienstagabend geht es hier), eine öffentliche Diskussion über drei preiswürdige Sachbücher und drei Romane - auf offener Bühne vor 400 Gästen in der Allerheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz. In diesem Jahr wechselte die Jury komplett. Eine spannende Frage stand also im Raum: Würden die neuen Juroren genauso clever und smart agieren wie die alten?

Ohne viel Smalltalk ging es gleich zur Sache

Den Vorsitz der Jury hatte Knut Cordsen, Kultur-Redakteur beim Bayerischen Rundfunk (ein Interview mit ihm lesen Sie hier). Ihm zur Seite standen die Autorin und Literaturkritikerin Thea Dorn so wie die Deutschlandfunk-Redakteurin Svenja Flaßpöhler. Und ohne viel Small-Talk ging es gleich in medias res: Die Sachbuchautoren und ihre Bücher wurden diskutiert.

Ein wortgewaltiges Plädoyer hielt Knut Cordsen für Jürgen Goldsteins Buch "Blau. Eine Wunderkammer seiner Bedeutungen" (Matthes & Seitz). "Blau" sei mehr als eine Farbe, sei eine Gesinnung, etwa bei Albert Camus oder bei Gershwins "Rhapsody in Blue" – das alles bringe Goldstein den Lesern näher. Thea Dorn und Svenja Flaßpöhler ließen sich aber nicht so recht überzeugen. Ihnen ging in Goldsteins Buch die klare Gesamtstruktur ab.

Dorn brachte da eine andere Farbe ins Spiel: rot. Denn Gerd Koenens nominiertes Sachbuch trägt den Titel: "Die Farbe Rot. Ursprünge und Geschichte des Kommunismus" (C. H. Beck). Koenen sei ein wahrhaft "generöser enttäuschter Liebhaber" der Spielarten der kommunistischen Bewegungen, so Dorn. Und doch konnte sich die Jury nicht ganz für Koenens monumentales Werk erwärmen – Detailverliebtheit lautete der leise Vorwurf.

Erst bei der Studie "Die Gesellschaft der Singularitäten" (Suhrkamp) von Andreas Reckwitz wurde Einigkeit erzielt. Die hohe intellektuelle Kompetenz des Autors verbinde sich im Buch mit klarer, selbst für den Laien verständlichen Sprache.

Knut Cordsen: "Was soll ich von einer Figur halten, die Rosamunde Pilcher liest?"

Etwas heftiger wurde in der Kategorie Literatur diskutiert. Petra Morsbachs Roman "Justizpalast" (Knaus) wurde zwar wegen seiner Sachkenntnis juristischer Abläufe gelobt, doch der erzählerische rote Faden von manchem Juror vermisst. Morsbachs Heldin "kaue stets Akten", so Knut Cordsen, und: "Was soll ich von einer Figur halten, die Rosamunde Pilcher liest?"

Der zweite Kandidat für den Belletristk-Preis, Klaus Cäsar Zehrer, legte einen Debütroman vor: "Das Genie" (Diogenes). Es handelt sich um die biographisch verbürgte Geschichte des exzentrischen Genies William James Sidis. Die Jury lobte Zehrers Einfallsreichtum, konnte sich aber für den glatten, etwas biederen Erzählstil des Autors nicht so ganz begeistern..

Und so ging der dritte Kandidat ins Rennen: Der österreichische Autor Franzobel und sein Roman "Das Floß der Medusa" (Zsolnay). Auch hier wurde kontrovers diskutiert, aber man merkte im Publikum, dass die Jury-Mitglieder von der gewagten Erzählperspektive Franzobels überwältigt waren.

"Das Buch ist eine Feier der Überschreitungen", so Svenja Flaßpöhler. Und Thea Dorn machte dem Publikum deutlich, wie schwierig es sei, in einem Roman ein derart großes Personal literarisch zu etablieren und wie dies Franzobel meisterlich geschafft habe. Der Bayerische Buchpreis ist in den beiden Kategorien Belletristik und Sachbuch mit jeweils 10.000 Euro dotiert - und wird vom bayerischen Landesverband des Börsenvereins vergeben. Unterstützer ist das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie.

Tomi Ungerer: "Für mich sind Bücher Nahrungsmittel"

Den Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten erhielt dieses Jahr das Multitalent Tomi Ungerer für sein Lebenswerk. "Wäre Martin Luther im Elsass geboren, dann gälte Elsässisch heute als Hochdeutsch." Mit solchen Überlegungen legte Ungerer eine launige Rede hin, die bei allen Anwesenden die Lachmuskeln strapazierte. Doch der Preisträger konnte auch ernst werden: "Für mich sind Bücher Nahrungsmittel."

Damit schloss sich der Kreis zu den mahnenden Worten von Michael Then. Für Bücher muss heute einiges getan werden, um sie gesellschaftlich ins Licht zu rücken. Der Bayerische Buchpreis ist sicher ein probates Mittel dafür. Die neue Jury zeigte sich kompetent, in der Diskussion angriffslustig und wirkte durchaus telegen. Vielleicht täte dem Gespräch ein schnellerer Wechsel in den einzelnen Wortmeldungen gut. Aber alles in allem aber gilt: Die Gala war eine gelungene, kluge und Interesse weckende Veranstaltung. Auf den Bayerischen Buchpreis 2018 darf man also schon gespannt sein.