Antiquariat

Uwe Turszynski im Interview

11. Februar 2016
von Börsenblatt
Uwe Turszynski, Antiquar in München und seit fast drei Jahrzehnten in der Branche tätig, ist nicht nur auf Messen im In- und Ausland vertreten, sondern auch seit langem im Netz erfolgreich unterwegs. Ein Gespräch.

Was waren anfangs Ihre hauptsächlichen Vertriebswege als Antiquar?

Uwe Turszynski: Ganz am Anfang meiner Tätigkeit als Antiquar spielten Floh- und Antikmärkte für mich eine große Rolle, recht schnell auch die vielen Büchermärkte, die es in den 1980er und frühen 1990er Jahren fast überall gab. Bald habe ich auch ein kleines Ladenlokal in einer Provinzstadt eröffnet, das allerdings verhalten lief … Und ich habe eine Vielzahl an Listen und Verkaufskatalogen erstellt, anfangs waren das nur geklammerte Fotokopien.

Wie sieht es heute aus?

Nach langjähriger intensiver internationaler Messebeteiligung – meist über zehn Veranstaltungen im Jahr – nehme ich 2016 nur an den Verbandsmessen in Stuttgart und London sowie an der ILAB-Messe in Budapest teil, eventuell auch noch an der Frankfurter Antiquariatsmesse in der Buchmesse. Stuttgart ist für mich die verlässlichste und umsatzstärkste Messe; auch bleiben dort eigentlich in jedem Jahr zwei, drei Kunden "hängen". Auf anderen Messen sind meine Umsätze schwankend. Das ist ein Hauptgrund, dass ich die Messebeteiligungen eingeschränkt habe. Die Kollege kennen den oft hohen zeitlichen, logistischen und finanziellen Aufwand gerade bei Veranstaltungen im Ausland; unterm Strich lohnt sich das zwar schon, aber meine eigene Bequemlichkeit steht dem doch auch mittlerweile gegenüber.

Während des "Internet-Hypes" habe ich – wie viele Kollegen – keine Kataloge mehr veröffentlicht, das rechnete sich einfach nicht mehr. Seit 2011 verschicke ich aber wieder zwei, drei Kataloge jährlich, dazu einige Listen. Das läuft mit Erfolg, es gibt da doch eine Art Wiedergeburt des Angebots auf Papier; ein nicht zu unterschätzender Anteil der interessierten und zahlungskräftigen Kunden hat offenbar weder Zeit noch Lust, sich durch ein unüberschaubares Angebot im Netz zu pflügen. Vielleicht überschätzt eine internetaffine Generation von Antiquaren die Bereitschaft vieler Sammler, sich mit diesem Medium eingehend zu beschäftigen.

Welche Bedeutung hat Ebay für Sie?

Ebay war in seinen Anfangsjahren eine Goldgrube. Man stand einer großen Zahl wildentschlossener Käufer weltweit gegenüber, auch eher lapidare Landkarten, Fotobücher und fragmentarische Inkunabeln erzielten oft höchst verwunderliche Preise. Das hat sich weitgehend beruhigt, Ebay wurde von Antiquaren und sogenannten Privatanbietern förmlich geflutet und hat seinen Reiz für viele Käufer ziemlich verloren. Trotzdem gelingen dort immer noch Verkäufe im vier- und fünfstelligen Bereich; immer wieder tauchen interessante Kunden auf, die man über "traditionelle" Datenbanken niemals erreichen würde.

Und Ihre eigene Homepage?

Nach jetzt doch über 20 Jahren Präsenz im Netz ist die eigene Homepage (siehe hier) für mich um einiges umsatzstärker geworden als etwa ZVAB/Abebooks. Da gibt es neue Kunden, die etwa über Google darauf stoßen und etwas finden – aber von besonderem Interesse sind die "Stammkunden", die mehr oder minder täglich im Netz unterwegs sind, um ihre Sammlungen zu ergänzen. Deswegen versuche ich, die Seite lebendig zu halten; auf der Eingangsseite werden in kurzen Abständen neue Bücher oder Grafiken präsentiert – meist "eyecatcher", also witzige und ungewöhnliche Titel. Die Suchmaschine für den Komplettbestand ist eine Verlinkung zu Antiquariat.de der Genossenschaft der Internet-Antiquare (GIAQ); eine bislang kostengünstige und meist verlässliche Sache, die eben besonders für das schnelle Auffinden der Neueingänge der letzten Tage für wiederkehrende Besucher von Interesse ist – oder leider eher war, wie ich sagen muss.

Wieso "war"?

Antiquariat.de hat seit acht Wochen Probleme aufgrund eines missglückten Serverumzugs. Die ersten Wochen gab es stundenlange Ausfälle, Bilder waren verschwunden, Updates nicht mehr möglich, um nur einiges an Widrigkeiten zu nennen. Die Seite ist zwar an sich wieder durchgehend online, aber diverse Probleme sind geblieben: So ist der Bestand nicht mehr nach Neueingängen durchsuchbar, das komplette Angebot wird nach jedem Update als "Neueingang" behandelt – und dieses Update findet nur einmal täglich nachts statt. Aus technischen Gründen fehlt auch ein gewisser Prozentsatz des Bestands, der zwar klein ist (bei mir circa 1 Prozent), aber sich oft auf tatsächliche Neueingänge konzentriert. Von der Betreibergenossenschaft höre ich, dass man mit diesen Schwierigkeiten auf unbestimmte Zeit leben müsse. Damit wird Sinn und Zweck einer Homepage zunichtegemacht – angefangen von der Kundenbindung bis hin zu provisionsfreien Verkäufen. Da wundern sich dann Kunden, bestimmte Titel überall zu sehen, auf meiner eigenen Homepage aber nur verspätet oder überhaupt nicht … Auf Vorhaltungen reagiert die GIAQ mit der Argumentation, die Homepage-Anbindung werde ja kostenlos bereitgestellt und Antiquariat.de sei für die beteiligten Antiquare kommerziell ohnedies wenig bedeutsam (was zweifelsohne stimmt) …

2015 ist den Antiquaren durch die ZVAB/Abebooks-Umstellung ihre wirtschaftliche Abhängigkeit deutlich vor Augen geführt worden – wie können die Kolleginnen und Kollegen darauf reagieren? Welche branchenpolitischen Möglichkeiten sehen Sie für die Interessenvertretungen?

Das Hauptziel muss sein, nicht mehr in wirtschaftlicher Abhängigkeit zu stehen. Das ist leichter gesagt als getan. ZVAB/Abebooks verfolgt, was nachvollziehbar ist, eigene wirtschaftliche Interessen, und nicht die Interessen des kleinen Häufleins der Antiquare, die ich als solche verstehe: also die Anbieter eines im weitesten Sinn bibliophilen Segments. Im Gegensatz dazu stehen die "Bücherlogistiker", Händler, die riesige Gebrauchtbuchmengen für minimales Geld in die Datenbanken schaufeln und mit ausgereiften Techniken Preisgestaltung und Vertrieb bewältigen. Als Antiquar kann und will man ja auch nicht in Konkurrenz treten, wir werden aber so eine immer geringere Rolle in den ökonomischen Überlegungen der Datenbanken spielen – mehr oder minder geduldet (wenn man sich den Regeln unterwirft!) als Exoten, die für einen kulturellen Anstrich sorgen. Ich nehme dies allerdings den Amazon-Trabanten nicht übel, schließlich sind diese Unternehmen ihren Shareholdern verpflichtet. Noch ist ZVAB/Abebooks für mich ein einigermaßen relevanter Vertriebsweg, wenn auch mit abnehmender Tendenz. Allgemein wird man sich in Zukunft stärker auf klassische Vertriebswege besinnen müssen – also Messen, Kataloge und eben die individuelle Internetpräsenz.

Die GIAQ hat ja seit 2005 versucht, eine Alternative aufzubauen, da wurde mit viel Glaube, Liebe, Hoffnung herangegangen. Nach dieser langen Zeit greift allerdings der Welpenschutz nicht mehr. Die Resultate sind in meinen Augen ernüchternd, wofür es viele nachvollziehbare Gründe gibt. Letztendlich sehe ich diesen Versuch aber als weitgehend gescheitert an, eine Relevanz für unsere Branche war noch nie vorhanden und ist auch in den nächsten Jahren schwer vorstellbar. Die oben angesprochenen Probleme mit der hauseigenen Datenbank Antiquariat.de, Kerngeschäft der Genossenschaft, legen beredtes Zeugnis zu den Problemen ab.

Der Verband Deutscher Antiquare hat vor Jahren kurzfristig erfolglos eine eigene Datenbank für Mitglieder betrieben; es hat sich gezeigt, dass eine verhältnismäßig kleine Teilmenge des im Internet sonst auch vorhandenen Angebots interessanter Bücher wenig attraktiv wirkt. Ein neuer Versuch ist wohl heute kein Thema mehr. Im Vordergrund steht die Stärkung der Stuttgarter Verbandsmesse und die Mitwirkung bei wichtigen branchenpolitischen Entscheidungen, etwa das Kulturgutschutzgesetz und das Thema Mehrwertsteuer betreffend. Ich bin davon überzeugt, dass sich der kürzlich neugewählte Vorstand auf diesen Gebieten erfolgreich engagiert.

Interview: Björn Biester