Das Landgericht Frankfurt hat die Geschäftsführerin des Suhrkamp Verlags, die in Personalunion der Familienstiftung vorsteht, in seiner vergangene Woche veröffentlichten Urteilsbegründung scharf kritisiert. Ulla Unseld-Berkéwicz wird darin grob treuwidriges Verhalten vorgehalten. Sie habe die Insolvenz des Suhrkamp Verlags absichtsvoll herbeigeführt und dem Unternehmen schweren Schaden zugefügt. Hat sich Ulla Unseld-Berkéwicz Ihrer Ansicht nach strafbar gemacht?
Mayer: Das müssen letztlich die Gerichte prüfen, wir werden keine Strafanzeige stellen, weil dies nicht unserer Auffassung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht entspricht. Aber nach Bekanntwerden der Urteilsgründe könnte eine Staatsanwaltschaft tätig werden und gegen die Familienstiftung und den Verlag ermitteln. Wir würden es bedauern, wenn die Geschäftsführung und ihre Mitstreiter in Düsseldorf, Darmstadt und Berlin eine strafrechtliche Grenze überschritten hätten.
Was könnte man dem Verlag denn vorwerfen?
Mayer: Um es abstrakt und losgelöst vom konkreten Fall zu formulieren: Wenn jemand zum Schaden Dritter ein Insolvenzverfahren künstlich herbeiführt , das von vornherein darauf angelegt ist, die Rechts- und Vermögensposition eines Mitgesellschafters zu schwächen, kämen durchaus mehrere strafrechtliche Tatbestände in Betracht – ich erinnere nur an das Verfahren gegen die Deutsche Bank, in dem im Falle des Medienunternehmers Kirch nun gegen Herrn Ackermann angeblich wegen Prozessbetrugs ermittelt wird. Es könnte in Vermögensangelegenheiten aber auch der Untreue-Paragraf einschlägig sein, weil einer Geschäftsführung eine besondere Vermögensbetreuungspflicht des Gesellschaftsvermögens obliegt. Und dann dürfen Sie nicht vergessen, dass es auch die Beteiligungsformen der Anstiftung und Beihilfe gibt und natürlich auch die Mittäterschaft, d.h. die gemeinsame Begehung eines Deliktes auf Grund eines gemeinsamen Plans. Ob der konkrete Sachverhalt jedoch strafrechtlich relevant ist, möchte ich nicht beurteilen.
Barlach: Es wird von der Geschäftsführung behauptet, dass die Medienholding als Minderheitsgesellschafter die Verlagsarbeit blockiert hat. Tatsächlich hat das Management auf der ganzen Linie versagt, die Geschäftsführung hat die außerordentlichen Erlöse der Jahre 2010 bis 2011, immerhin über 13 Millionen Euro, ausgegeben, ohne sich mit der Medienholding über die Verwendung dieser Gewinne abzustimmen , obgleich es anders vertraglich zwischen den Gesellschaftern vereinbart war. – – Das, was wir hier erleben, ist ja ein Skandal, wie ich ihn in meinem Leben, auch als Unternehmer, noch nicht erlebt habe. Hier wird versucht, einen Mitgesellschafter auf kaltem Wege zu enteignen und seiner Mitspracherechte zu berauben. Es ist zudem unglaublich, wie dem Suhrkamp Verlag und seiner Reputation schwerer Schaden zugefügt wird. – – Nachdem die Medienholding am 10. Mai weiteren Ausgaben in der Höhe von ca. 11 Millionen Euro nicht zugestimmt hat, haben die drei Geschäftsführer am 27. Mai den Insolvenzantrag gestellt. Das System der Eigenverwaltung mit dem von der Geschäftsführung mitgebrachten Sachwalter ermöglicht dem Gericht hierbei nur eine geringe Kontrolle. Der vom Amtsgericht in Berlin auf Vorschlag der Geschäftsführung bestellte Sachwalter setzt zudem in seinem Gutachten den Wert der Verlagsmarke auf einen Euro an, den Wert der Autorenrechte auf Null – angeblich, weil nach der Umwandlung des Verlags alle Autoren dem Hause den Rücken kehren würden. In keinem mir bekannten Fall ist dies bisher passiert. Auch in Verlagshäusern gilt doch der Satz: Der König ist tot, es lebe der König!
Sind die Insolvenzgründe der Überschuldung und der Zahlungsunfähigkeit denn Ihrer Meinung nach nur vorgeschoben?
Mayer: Welches Manöver hier vollzogen wurde, zeigen ja eindeutig die Wochen vor dem 27. Mai, dem Tag des Insolvenzantrags. Noch Anfang Mai wurde uns der Forecast für die Sommermonate geschickt – und darin war allenfalls ein Ertragsrückgang enthalten – das bekannte Sommerloch, in dem die Frühjahrsproduktion nicht mehr viel einspielt und das Herbstprogramm noch nicht im Handel ist. Zu diesem Zeitpunkt hätte man aber ohne weiteres die Liegenschaft des Verlags in Frankfurt beleihen und so einer angeblichen Insolvenz vorbeugen können. Stattdessen werden jetzt im Zuge des Insolvenzverfahrens Gutachter- und Anwaltsgebühren in Millionenhöhe gezahlt, die im Grunde erst einen Insolvenzgrund schaffen könnten. Die eidesstattliche Erklärung von Geschäftsführer Jonathan Landgrebe von Anfang August 2013, der Verlag sei auch abzüglich der Gesellschafterforderungen mit drei Millionen Euro verschuldet, widerspricht der Budgetplanung, die nur wenige Wochen früher noch liquide Mittel in Höhe von über 2,5 Millionen Euro aufwies. Auch das Gutachten von Herrn Rattunde, aus dem die Zahl von drei Millionen Euro entnommen ist, ist in diesem Zusammenhang mehr als kritisch zu sehen. Die Assets des Verlags wurden für den Insolvenzplan systematisch heruntergerechnet und die negative Fortführungsprognose ausschliesslich auf eine nicht nachgewiesene Blockade durch die Gesellschafter zurückgeführt. Dies alles können Sie dem Urteil des Landgerichts Frankfurt entnehmen, das publiziert worden ist. Jedoch könnte der Verlag auch heute die Insolvenz sofort beenden.
Barlach: Die Medienholding hat in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder versucht, zur Entspannung der finanziellen Situation des Verlags beizutragen. Wir haben sogar Darlehen angeboten und unsere Forderungen freiwillig zurückgestellt. Es hätte durchaus Wege gegeben, die angeblich drohende Insolvenz zu verhindern. Und die Finanzlage des Verlages kann nicht so desaströs gewesen sein, wie dies jetzt behauptet wird. Noch in der Gesellschafterversammlung am 10. Mai wurde mir der Plan für die Investition in einen Neubau in Höhe von ca. 9,6 Millionen Euro vorgelegt. Gleichzeitig sollten Vorschüsse für zwei Bestseller bewilligt werden – eine hohe Summe für Don Winslow und mehrere Hunderttausend Euro für Isabel Allende. Wie kann der Verlag so viel investieren wollen, um dann wenige Wochen später zu behaupten, er könne die Autorenhonorare nicht mehr bezahlen? Mitte Mai habe ich mich zuletzt mit Frau Berkéwicz getroffen, um über den Eintritt eines dritten Gesellschafters zu sprechen. Von den Ströhers, die dann im Insolvenzplan auftauchen, war da überhaupt nicht die Rede.
Wie ernst ist denn das Engagement der Ströhers zu nehmen?
Mayer: Bisher ist nicht mehr bekannt, als dass sich die Ströhers nach einem Rechtsformwechsel mit der SFO GmbH an einer Suhrkamp AG beteiligen würden – in welcher Höhe, wird nicht gesagt. Herr Ströher hat auch kein konkretes Konzept für den Verlag vorgelegt. Einmalig hat eine Gesellschaft der Familie Ströher im August 13 Autorenhonorare finanziert – obgleich dies betriebswirtschaftlich nicht notwendig war – und so den Autoren des Verlags den Gläubigerstatus genommen. Die Autoren haften der Familie Ströher sogar für den Bestand der Forderung und müssen dann im Worst Case das Geld zurückbezahlen. Herr Ströher ist ein guter Geschäftsmann, und hinter dem Engagement stecken ganz konkrete Renditeerwartungen und natürlich das Bestreben, die Mehrheit der Anteile durch die angeblich notwendige Sanierung günstig erwerben zu wollen.
Barlach: Ich bin Herrn Ströher schon einmal begegnet und habe durchaus Respekt vor seiner unternehmerischen Leistung. Allerdings, um einen Verlag wie Suhrkamp als Gesellschafter voranzubringen, wäre eine genaueste Kenntnis des spezifischen Marktes notwendig. Soweit ich informiert bin, verlässt sich Herr Ströher in seiner Zukunftsplanung jedoch einzig auf Herrn Landgrebe, von Haus aus Betriebswirt und seit 2008 erfolglos in der Geschäftsführung. Der Verlag schreibt seit 2002 rote Zahlen.
Sie scheinen eher mit dem Vorstoß der dtv-Gesellschafter zu sympathisieren …
Barlach: Offen gesagt, ich habe mit dtv oder seinen Gesellschaftern gar nicht gesprochen. Aber die Kompetenz von Verlagen wie Hoffmann und Campe, C.H. Beck oder Hanser spricht doch klar dafür, ihnen das Schicksal des Suhrkamp Verlags anzuvertrauen. Die könnten den Verlag so auf die Beine stellen, dass er wirtschaftlich gesundet. Es geht ja nicht darum, hohe Renditen einzuspielen, sondern den Verlag aus regulären Gewinnen zu finanzieren – und nicht aus Sondererlösen wie in den vergangenen Jahren.
Haben Sie denn seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Verlag noch einmal sprechen können?
Mayer: Ich habe vor vier Wochen versucht, mit Frau Unseld-Berkéwicz direkt Kontakt aufzunehmen, aber keine Antwort erhalten. Herr Landgrebe hat zunächst noch per Mail reagiert, antwortet aber auch nicht mehr. Alle Gesprächsangebote werden derzeit nicht wahrgenommen. Wir haben gerade gestern eine neue Initiative lanciert, weil uns der Verlag und die Mitarbeiter wichtig sind. Die Fortführung der Insolvenz ist die schlechteste aller möglichen Lösungen. Wichtig wäre es, alle Prozesse zu beenden und gemeinsam einen Weg aus der jetzigen Situation zu finden.
Glauben Sie, dass das Insolvenzgericht in Berlin von der Urteilsbegründung des Frankfurter Landgerichts unbeeindruckt bleibt?
Mayer: Ich denke schon, dass die Richterin am Amtsgericht Charlottenburg die Argumente ihrer Frankfurter Kollegin sorgfältig prüfen wird. Und auch, wenn sie in ihrer Entscheidung unabhängig ist – der kausale Zusammenhang zwischen beiden Verfahren wird ihr sicher nicht verborgen bleiben.
Barlach: Es wird ihr vielleicht auch bewusst, dass sie vom Verlag für insolvenzfremde Zwecke instrumentalisiert werden könnte. Das Konzept der Geschäftsführung ist nach unserer Einschätzung doch das folgende: Die Geschäftsführer wollen mit dem neuen Großgläubiger Ströher in einer neuen AG weiterarbeiten, wohingegen die alten Gesellschafter mit ca. 3,5 Millionen Euro Hafteinlage und 8,2 Millionen Euro Gewinnvorträgen, welche sie allesamt verlieren, zur angeblich notwendigen Sanierung des Unternehmens beitragen sollen; alle anderen Gläubiger sollen ihre Forderungen zu 100 Prozent erhalten. Damit ist nach Vorstellung der Geschäftsführung der Verlag spontan gesundet.
Gibt es denn rechtlich eine Möglichkeit, das Insolvenzverfahren rückabzuwickeln – oder ist das Berliner Gericht mehr oder minder in dem Verfahren gefangen?
Mayer: Insolvenzrechtlich betrachtet, gibt es im konkreten Fall von Amtes wegen kein Zurück. Das Gericht kann lediglich die Vorlage eines neuen, geänderten Insolvenzplans verlangen. Die Geschäftsführung kann freilich jederzeit einen Antrag nach Paragraf 212 Insolvenzordnung (InsO) stellen, d.h. die Einstellung der Insolvenz wegen des Fehlens der Eröffnungsgründe beantragen. Dies muss sie sogar tun, wenn die Gründe nicht bestehen. Ein Antrag nach Paragraf 213 Insolvenzordnung (Zustimmung aller Gläubiger) durch die Geschäftsführung wäre auch möglich. Das Problem des geänderten Insolvenzrechts ist, dass der Gesetzgeber den betroffenen Gesellschaftern keine Rechtsmittel gegen den Insolvenzeröffnungsbeschluss an die Hand gibt. Und das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – kurz ESUG – fördert vielleicht nun bei vielen Unternehmen die Mentalität, das Insolvenzverfahren als Sanierungsmethode, in Anlehnung an das sogenannte Chapter 11-Verfahren im US-Recht, einzusetzen. Dies würde dem Regelungszweck des ESUG widersprechen und sehr negative Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland haben. Dennoch werden wir natürlich alle rechtlichen Mittel nutzen, um gegen den Insolvenzeröffnungsbeschluss vorzugehen – auf strafrechtliche Schritte werden wir allerdings verzichten.
Barlach: Die Bilanz der bisherigen Urteile fällt ja eindeutig zugunsten der Medienholding aus: Die Geschäftsführung von Suhrkamp wurde abberufen und zu einer Strafzahlung an den Verlag verurteilt. Der Verlag wurde zu einer Zahlung von 2,2 Millionen Euro an die Medienholding, dem Gewinnanteil aus dem Jahre 2010 entsprechend, verurteilt. Auch wenn einige Urteile noch in den Instanzen hängig sind, spricht Vieles dafür, dass die Familienstiftung als Gesellschafter des Verlags nicht weiter tragbar sein könnte. Am 25. September wird vor dem Frankfurter Landgericht die Klage über den wechselseitigen Ausschluss der Gesellschafter verhandelt, ich bin gespannt.
Herr Kebekus betont, der Insolvenzplan würde in gleicher Weise in die Rechte beider Gesellschafter eingreifen. Was halten Sie davon?
Barlach: Wenn im Insolvenzplan geregelt ist, dass der Aufsichtsrat und der Vorstand ausschließlich von der Familienstiftung besetzt werden, bleibt der Minderheitsgesellschafter außen vor. Die Medienholding hätte in dieser Konstruktion keine Möglichkeit, die Geschicke des Verlags – vor allem auf der personellen Ebene – zu beeinflussen. Das wäre natürlich höchst unbefriedigend.
Mayer: Diese Auffassung von Herrn Kebekus ist wirklich falsch. Zunächst hat die Medienholding im jetzigen Insolvenzplan keinerlei Mitsprachrechte. Sie kann sich weder zu dem genehmigten Kapital äußern, einem neuen Mitgesellschafter widersprechen, noch könnte sie ihren Anteil nach dem Marktwert veräußern. Alle Handlungen bedürfen der Zustimmung des Verlags, der ausschließlich aus Vertretern der Familienstiftung geführt wird. Zudem verliert die Medienholding AG alle Mitspracherechte aus den früheren Gesellschaftervereinbarungen. Wie all dies ein kongruenter Eingriff sein soll, kann ich auch mit viel Wohlwollen für die Meinung von Herrn Kebekus nicht sehen.
Nehmen wir einmal an, es gäbe einen Ausweg aus der verfahrenen Situation – wie hoch ist die (gefühlte) Chance, dass Sie ihre Vorstellungen für die Zukunft des Suhrkamp Verlags durchsetzen?
Barlach: Sie wissen ja: Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand. Ich glaube aber daran, dass es in diesem Lande immer noch so etwas wie ein gesundes Rechtsempfinden gibt. Die beste Lösung wäre in meinen Augen der Einstieg eines neues Mehrheitsgesellschafters, der sich in der Verlagswelt auskennt und in der Lage wäre, den Verlag zukunftsfähig zu machen. Die bisherige Geschäftsführung hat hier bisher den Negativbeweis geliefert: wie man allen betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten zum Trotz dem Verlag Schaden zufügt.
Mayer: Und es geht doch nicht nur Suhrkamp. Ein ebenso großer Skandal ist der Umgang mit dem Insel Verlag. Nur weil die Geschäftsführung eine interne Verrechnungsforderung an Suhrkamp in Rechnung gestellt hat – ein Vorgang, den es zuvor in dieser Dimension nie gegeben hatte – , konnte sie ihn in die Insolvenz schicken. Mitbetroffen ist zudem der Jüdische Verlag – der einzige Verlag in Deutschland, der dezidiert als Verlag für Themen rund um das Judentum und seine jüngere Geschichte auftritt. Wie man so mit verlegerischem Kulturgut umgehen kann, ist nach meinem Dafürhalten respektlos.
Haben Sie die Hoffnung, dass das Zerwürfnis zwischen Ihnen und Frau Unseld-Berkéwicz eines Tages beendet werden könnte?
Barlach: Da muss ich Ihnen insofern widersprechen, als es überhaupt kein Zerwürfnis gibt. Es gab in den letzten Jahren auch keine einzige Entscheidung, welche die Gesellschafter zum Nachteil des Verlags blockiert hätten. Es entspringt eher dem Interesse der Medien, Frau Unseld-Berkéwicz und mich als zerstritten zu stilisieren und ein Zerwürfnis zu unterstellen. Uns geht es darum, dass sich die Geschäftsführung des Verlags an die vertraglich vereinbarten Rechte und Pflichte hält. Und dass man uns nicht, wie zuletzt beim Insolvenzantrag, übergeht und vor vollendete Tatsachen stellt. Alles, was wir tun, geschieht in der Absicht, dem Verlag zu nützen und diesen zukunftsfähig zu machen. Und es wäre fatal, wenn diese Chance vertan würde. Es wäre der Untergang eines der bedeutendsten Verlage und Kulturträger, die wir in Deutschland haben.
Interview: Michael Roesler-Graichen
Hans Barlach ist Präsident des Verwaltungsrats der Medienholding AG, Rechtsanwalt Carl Ulrich Mayer Mitglied des Verwaltungsrats der Medienholding AG.