Kategorie Allgemeine Literatur
Katherine Mansfield: In einer deutschen Pension. Büchergilde Gutenberg, 22,95 Euro
Illustrationen: Joe Villion, Berlin
Satz: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
Druck und Buchbindung: CPI - Ebner & Spiegel, Ulm
Typografie/Gestaltung: Joe Villion, Berlin
Herstellung: Katrin Jacobsen, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-7632-6580-0 (nur für Mitglieder)
ISBN: 978-3-86406-020-5 (Edition Büchergilde)
Köstlich, diese schrille Synthese aus Spießigkeit, Kitsch und Ironie, die in Text und Bild so kongenial einen Geschmack davon gibt, in welch soziologisch exotischen Genuss die junge Schriftstellerin wohl während ihres Aufenthaltes in einer deutschen Penison im Jahr 1909 gekommen war. Das Einbandgewebe, Kapital- und Zeichenband furchtlos Ton in Ton in Pink, die jugendstiligen Versalien der Überschriften, die Übertreibung von Merkmalen traditioneller Buchgestaltung (übergroße Pagina und fette Kopflinie im Duktus der Illustrationen), der Text gesetzt aus der jungen Variante einer klassischen Antiqua in einem Satzspiegel mit üppig bemessenen Stegen – dies alles schafft sich die Gestalterin und Zeichnerin als angenehmes Lesemilieu. Warum beginnen die Absätze ohne den in der Regel gebotenen Einzug? Weil es sehr viele sehr kurze Absätze gibt, die die sonst unentbehrlichen Einzüge in irritierende Löcher verwandeln würden. Und nun die Bilder! Die unterhaltsamen Motive und Kompositionen in vierfarbigem Druck – Schwarz und Sonderfarben in poppigem Dreiklang – bringen einen gehörigen Spaß aufs geglättete Naturpapier. Sie lassen sich aber auch als subtil gerahmte Psychogramme einer Ära lesen, in der bisher unbekannte Konflikte von Korsett und Lebensreform, Geschlechterklischees und Frauenbewegung, Kaisermacht und Seelenforschung die überkommene Gesellschaftsordnung durcheinander brachten. Man ahnt es schon auf dem Schutzumschlag.
Markus Färber: Reprobus. Rotopolpress, 22,00 Euro
Illustrationen: Markus Färber, Kassel
Druck und Buchbindung: OZGraf, Olsztyn (Polen)
Satz und Typografie/Gestaltung: Markus Färber, Kassel
Herstellung: Lisa Röper, Kassel
ISBN: 978-3-940304-76-6
Der erste Blick führt auf die falsche Fährte – zu einem Kinderbuch. Mitnichten. Auch würde man diese Bildergeschichte nicht ohne weiteres dem Comic zuordnen, auch wenn die Erzählstrategie mit typischer Seitenaufteilung in Panels und filmischen Einstellungen und Sequenzen arbeitet. Irgendwie kommen einem die Arche-Noah-Bücher aus der Kindheit in Erinnerung; in der Art, wie etwa die Flora gezeichnet ist, sah in den sechziger Jahren das Paradies aus, mit einem großen Unterschied: Das Kolorit bleibt düster und unheimlich. Es ist eine neue, eigene Erzählung des Autors und Zeichners zum Ursprungsmythos der Christophorus-Legende – ikonografisch angereichert, verwoben, rätselhaft, ja geradezu bildmagisch inszeniert. Überraschend, wie jahrhundertealter Erzählstoff, in der heutigen säkularen Welt als Märchen und Schummel in Vergessenheit geratend, zu dieser poetischen, modernen und künstlerischen Form umgearbeitet wurde. Wer weiß, vielleicht steigt heute mit jedem Schritt der wissenschaftlichen und sozialen Entzauberung der Welt stückweise auch die Sehnsucht nach Transzendenz. Hier jedenfalls blättern wir staunend durch einen ernstzunehmenden Vorschlag.
Hendrik Jackson: Im Licht der Prophezeiungen. Gedichte. Kookbooks, 19,90 Euro
Illustrationen: Andreas Töpfer, Berlin
Druck und Buchbindung: Druckerei und Verlag Steinmeier GmbH & Co. KG, Deiningen
Typografie/Gestaltung: Andreas Töpfer, Berlin
Herstellung: Andreas Töpfer, Daniela Seel, Berlin
ISBN: 978-3-937445-52-6
Ein handliches Buchformat, das mit seinem softigen Approach lockt. Die nicht gewöhnliche Umschlaggestaltung weckt Neugier, der Titel des Buches ist zurückhaltend, in gestürzten Zeilen auf aufgeklebtem Schild, das mit einem großen roten Punkt von der Rückseite über den Rücken nach vorn kriecht. Da greift die Hand zu, dreht und wendet und biegt das Büchlein hin und her – eine Prophezeiung? Zeitgenössische Poesie in typografischen Varianten, mit zartem Grundton und motzigen Zwischentiteln. Sehr plausibel im Verweisspiel von Inhalt, Material und Form.
Peggy Parnass: Kindheit. Schwarze Kunst, Grethem-Büchten, Edition Klaus Raasch, 48,00 Euro
Illustrationen: Tita do Rêgo Silva (Holzschnitte)
Druck: Walter Fischer, Klaus Raasch, Lothar Schumann / Graphische Werkstatt des Museums der Arbeit, Hamburg
Buchbindung: Integralis Industriebuchbinderei, Lettershop und Fulfillment GmbH, Hannover
Satz, Typografie/Gestaltung und Herstellung: Klaus Raasch, Hamburg
ISBN: 978-3-927840-43-0
Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Kinderbuch aus den fünfziger Jahren ist ein Künstlerbuch mit den autobiografischen Kindheitserinnerungen der Autorin und den mehrfarbigen Originaldruckgrafiken der Holzschneiderin. Die splendid gesetzten Textseiten, die durch den Verzicht auf Trennungen ein unausgeglichenes Flattern in Kauf nehmen, spannen den Kontrast auf zu den fast leuchtenden Holzschnitten in plakativen Farben. Man möchte mit der Nase zwischen die Buchdeckel kriechen, denn das saugende Papier ist getränkt mit dem Firnisduft der besonderen Druckfarbe. Mit der überbordenden Bildwirkung aber kontrastiert vor allem die Geschichte. Die große Familie der Autorin ist in den Konzentrationslagern der deutschen Nationalsozialisten umgebracht worden. Die Autorin stellt sich ihren schlimmen Erinnerungen, lässt einen an deren Unmittelbarkeit teilhaben und ist dem zum Trotz der lebensfrohe Mensch geworden, der sich von der Künstlerin in den Holzschnitten viele Locken wünschte. Mit großem Enthusiasmus ist dieses Bekenntnis zu dunkler Vergangenheit und zum Genuss der Gegenwart konzipiert und handwerklich aufwändig produziert – ein Staunen für die Sinne.
JAK / Hamed Taheri: JAK. EXP.edition, 45,00 Euro
Druck: Offsetdruckerei Karl Grammlich GmbH, Pliezhausen
Buchbindung: Lachenmaier GmbH, Reutlingen
Satz und Typografie/Gestaltung: Demian Bern, Stuttgart
Herstellung: Demian Bern, Stuttgart, Offsetdruckerei Karl Grammlich GmbH, Pliezhausen
ISBN: 978-3-00-039050-0
Ein ganz normales Buch – ist es nicht. Beim Blättern fallen lauter Blätter heraus, nicht etwa die Buchseiten, sondern Einlagen in verschiedener Gestalt. Das, was niet- und nagelfest ist, bleibt übrig – das, was man technisch ein Buch nennt. Aber dennoch gehören die losen Teile zwingend zu diesem Buch, genauso, wie die Phantasie der Autoren und des Künstlers dazugehören – genauso, wie die Phantasie des Lesers und Betrachters. Dieses Buch ist ein Dokument für das interaktive Geschehen nicht nur zwischen Autor und Leser, sondern vielmehr zwischen Buch und Geist. Natürlich bleibt diese Form ein Sonderfall, sie führt uns aber vor Augen und spielt uns in die Hände, was ein gedrucktes Buch, mit oder ohne Text, eigentlich will. Es statuiert ein Exempel auf das erste Motto in dem Buch, einem Zitat von Jean-Paul Sartre: »… So ist das Buch nicht wie das Werkzeug Mittel zu irgendeinem Zweck: es empfiehlt sich als Zweck der Freiheit des Lesers.«
Kategorie Wissenschaftliche Bücher, Schulbücher, Lehrbücher
Walter Rüegg (Hrsg.) BAZ. Herausgefordert "Die Geschichte der Basler Zeitung". Christoph Merian Verlag, 28,00 Euro
Druck: Offsetdruckerei Karl Grammlich GmbH, Pliezhausen
Buchbindung: Lachenmaier GmbH, Reutlingen
Satz und Typografie/Gestaltung: Andreas Hidber / accent graphe, Basel (Schweiz)
Herstellung: Claus Donau / Christoph Merian Verlag, Basel (Schweiz), Daniel Grammlich, Regine Grammlich / Offsetdruckerei Karl Grammlich GmbH, Pliezhausen
ISBN: 978-3-85616-562-8
Ein Buch über die Geschichte der Basler Zeitung. Mittels Buchtypografie, ohne selbst Zeitung zu werden, fängt der Buchgestalter Gefühl und Erfahrungen des Zeitunglesens ein und deutet sie um auf das Buch. Die Mischung von Grundschrift mit Serifen und Überschriften in fetter Grotesk, der Wechsel von weichem saugendem Naturpapier und glattem Bilderdruck – erinnernd an Zeitung und Beilage –, die grobe Rasterweite der Schwarzweißbilder, die Akzentfarben der grauen Flächen und des sparsamen Rot, die Linienelemente, wunderbare Infografiken, die provisorisch wirkende Schweizer Broschur ohne hinterklebten Rücken, den roten Faden sichtbar lassend, und dann vor allem der dreiseitig angefräste Schnitt des ganzen Buchkörpers – taktil wie visuell die gerissenen Zeitungskanten wiederholend: was für ein schönes Formenspiel innerhalb der Printmedien – von der Zeitung zum Buch und zurück. Sehr fein, so wird Buchgestaltung zur Buchkunst.
Harry Gugger, Nancy Couling u.a.: Barents Lessons. Teaching and Research in Architecture 2012. Park Books, 38,00 Euro
Druck und Buchbindung: Offsetdruckerei Karl Grammlich GmbH, Pliezhausen
Typografie/Gestaltung: Ludovic Balland / Typography Cabinet, Siri Bachmann, Basel (Schweiz)
Herstellung: Offsetdruckerei Karl Grammlich GmbH, Pliezhausen
ISBN: 978-3-906027-17-3
Man hat den amerikanischen Schutzumschlag abgenommen und ausgebreitet, die detaillierte Seekarte überflogen, das Inhaltsverzeichnis am Rand der Karte gesichtet und widmet sich nun der gefälzelten Klebebroschur. Man liest noch kaum zwei Sätze, bezirzen die Fülle und Attraktivität der Karten und Diagramme die ordnungsliebenden visuellen Sinne. Die wissenschaftliche Neugier, das ästhetische Bedürfnis und die Gierde nach Visionen werden angereichert. Man sieht, schaut, staunt, fragt, begreift – schlägt sich zunächst immer noch durch die drei so unterschiedlichen Kapitel, die so klar durch das gestanzte Kopfregister getrennt sind, dass es klarer nicht geht. Nach der ersten Orientierung glaubt man, eine tausendseitige Studie durchblättert zu haben; es sind aber nur 156 – plus fünf eingeklebte Faltkarten. Das architekturwissenschaftliche Projekt beschäftigt sich mit den Ressourcen der arktischen Barentsee und breitet nicht nur eine komprimierte Analyse aller möglichen Umweltfaktoren aus, sondern zeichnet auch in einer fotografischen Reise das Bild der landschaftlichen Stimmungen und klimatischen Lebensbedingungen, bevor der dritte Teil die architektonischen Projektentwürfe vorstellt, die den Zugang zu, den Umgang mit und den Aufenthalt in der Barentsee möglich machen sollen. Die Evidenz dieser geopolitisch relevanten Studie ist so hoch, dass das Inhaltsverzeichnis zur Marginalie wird.
Stefan Sippel (Hrsg.): Geschichten am Fluss. Geschichte im Fluss. Aborigines und Jesuiten am Daly River, Nordaustralien, 1886-1899. Eine Performance. August Dreesbach Verlag, 48,00 Euro.
Satz: Andreas Rimmelspacher, Diessen am Ammersee
Druck und Buchbindung: Mediengruppe Universal, München
Typografie/Gestaltung: Vit Steinberger, München
Herstellung: Vit Steinberger, Andreas Unsöld, München
ISBN: 978-3-940061-73-7
Buchgestaltung für die Doktorarbeit eines Historikers? Eine denkbar undankbare Aufgabe. Die Ansprüche an Objektivität, Schnörkellosigkeit, Textzentriertheit und der vielen formalen, fakultätsspezifischen Gepflogenheiten sind sehr hoch und führen in aller Regel zu unvermeidlichen Bleiwüsten. Macht nichts, sagt man, es geht ja nur um den Inhalt. Also – die Gestaltung wissenschaftlicher Texte erscheint gewöhnlich nicht nur langweilig, ja, vielleicht sogar schlicht überflüssig. Und natürlich hat es der Buchgestalter auch in dem vorliegenden, sparsam bebilderten Werk mit sehr viel Text zu tun, den er aber typografisch subtil handhabt. Zwei Beispiele seien hervorgehoben. Zunächst die Kapitelstruktur. Oft sind wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten in zahlreiche Unterabschnitte gegliedert, jedenfalls orientiert man sich mindestens mithilfe eines lebenden Kolumnentitels. Auf beides wird hier verzichtet, von Autorenseite wie von typografischer Einrichtung, aber: Der Rest eines lebendenden Kolumnentitels lebt in der mit Schrägstrichen gefassten Seitenzahl der Abschnittsbeginne fort. Weiterhin ist die Gestaltung der Fußnoten, die ja das Signum der Wissenschaftlichkeit sind, bemerkenswert. Hier ignoriert sie die Konventionen, indem sie die Anmerkungen einer Doppelseite auf der rechten Seite unten zusammenfasst und in einem großen Abstand von mehreren Gevierten als fortlaufenden Text setzt – das funktioniert wunderbar und kommt eigentlich dem Nüchternheitbedürfnis der Wissenschaft sehr entgegen. Auch der Einband weicht von der Erwartung ab. Die Halbgewebedecke lässt die Graupappen unkaschiert – entgegen dem Augenschein buchbinderisch durchaus anspruchsvoll. Die grobe Wirkung wird durch die Farbwahl eines Wasserblau und die feine Titeltypografie konterkariert. Ein Zeichenband und das ausklappbare Vorsatzpapier mit Karte sind elegante funktionale Extras. Dies alles sind keine gestalterischen Selbstverwirklichungen, sondern sind Hinweise auf den besonderen wissenschaftlichen Ansatz der Arbeit, die Enstehung der Geschichte als das Erzählen von Geschichten zu begreifen.
Petra Maria Meyer (Hrsg.): Intuition. Wilhelm Fink Verlag, 58,00 Euro
Satz: Christiane Dunkel-Koberg, Hamburg, Eva Schirdewahn, Flensburg
Druck und Buchbindung: Friedrich Pustet KG, Regensburg
Typografie/Gestaltung: Eva Schirdewahn, Flensburg
Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn
ISBN: 978-3-7705-4745-6
Ein Tagungsband zur künstlerischen Dimension von »Intuition«. Nun erwartet man vielleicht etwas unglaublich Intuitives, irgendeine Geheimnislüftung, durch die man schlagartig ins Licht des Begriffes geführt wird, um einmal das Glück der Intuition am eigenen Leibe zu erfahren. Dieser Versuchung ist das Buchkonzept nicht erlegen. Stattdessen stellt es sich der Herausforderung, für die sehr unterschiedlichen und vielgliedrigen Beiträge eine typografische Form zu finden, die das Material als Buch rezipierbar macht. Beispiel Zitate: verkürzte Satzbreite bei gleichbleibendem Grad und Durchschuss, in den Freiraum bündig mit dem Satzspiegel den Autorennamen gestürzt eingesetzt, freilich in kleinerem Grad. Beispiel Paratext: in die Kolumne eingeschobene Marginalspalte, die vom Fließtext blöckchenweise ausgespart wird. Und wie durch ein Wunder reißen die Wortzwischenräume auf der für den Blocksatz kritisch gewordenen Satzbreite kaum ein Lücke – offenbar gibt es sie noch, die Kunst des Schriftsetzens. Großzügige doppelseitige Anfänge der Beiträge mit angeschnittenem Daumenregister, und als graphologisches Angebot die Kurzvita der Autoren in deren eigener Handschrift. Der denkbar reduziert gestaltete Schutzumschlag auf Transparentpapier umgibt den Pappband, dessen Bezug und Vorsatz eine minimalistische Illustration trägt. Das schwarze Zeichenband weist das Buch als Arbeitsgerät aus.
Andrea Benze: Alltagsorte in der Stadtregion. Atlas experimenteller Kartographie. Dietrich Reimer Verlag, 34,90 Euro
Druck und Buchbindung: Druckhaus Köthen GmbH, Köthen
Satz und Typografie/Gestaltung: Torsten Köchlin, Berlin
Herstellung: Ben Bauer, Torsten Köchlin, Berlin
ISBN: 978-3-496-01465-2
Gegenstand der stadt- und regionalplanerischen Doktorarbeit ist das Vereinsleben einer ostdeutschen Region abseits der Großstädte. Mit den Mitteln der Soziologie, europäischen Ethnologie, visuellen Anthropologie, Architekturanalyse und dem Experiment einer wissenschaftlichen Kartografie kündet diese Untersuchung von ihrem konzeptionellen Anspruch bereits im Anspruch an die Visualisierung. Durch eine typografisch feine Ordnung, konzise Diagramme und eingeklebten Diagrammleporellos, fotografische Study Cases und einem kompakten Fazit erhalten die Forschungsmethode und Forschungsergebnisse eine Gestalt, in der die gesellschaftspolitische Relevanz augenfällig wird. Die Publikation wirkt im Gesamten sofort derartig attraktiv, dass der Wunsch nicht abwegig ist, dass auch die Nachbardisziplinen einmal zu diesem Buch greifen.
Kategorie Ratgeber, Sachbücher
Helena Schätzle: 9645 Kilometer Erinnerung. Nimbus. Kunst und Bücher, 38,00 Euro
Fotografin: Helena Schätzle
Druck und Buchbindung: fgb freiburger grafische betriebe GmbH & Co. KG, Freiburg i. Br.
Satz und Herstellung: Eva Maria Kroder, Köln
ISBN: 978-3-907142-71-4
Die Fotografin begibt sich auf Spurensuche und zeichnet auf 9645 Kilometern das Itinerar, das ihr Großvater im Zweiten Weltkrieg durch sein Soldatendasein in Osteuropa vorgegeben hat. Und sie trifft auf Menschen, die heute noch Erinnerungen an jene Zeit bewahren, die sie befragt und im Buch Zitate farblich unterscheidend neben die Erinnerungen ihres Großvaters stellt. Die Fotografien deren Portraitbüsten zeigen alte, stoische, nachdenkliche, zweifelnde Gesichter mit Hinweisen auf deren häusliche Umgebung; sie sind gerahmt vom breiten Weiß des matten Papiers. Fragende, suggestive, kontemplative Landschaftsbilder und Veduten, in denen das Fluidum der Geschichte eingefangen zu sein scheint, sind bis zum Anschnitt mit einer hochgradig differenzierten Auflösung auf das saugende Papier gezaubert. Das dezente Layout wird durch die große, stempelartige Type der Ortsnamen akzentuiert. Ein weiteres Element sind die historischen Dokumente in Schwarzweiß-Fotos auf extrem dünnem Papier, aus den Privatalben der befragten Personen herausfotografiert. Der bedruckte Gewebeband bietet über das Vorsatzpapier in der Schmuckfarbe der Schrift, über die Titelei und den ersten Abbildungsteil den behutsamen Einstieg in ein anspruchsvolles Projekt. Die deutsche Vergangenheit scheint durch Klassenarbeiten, wissenschaftliche Monografien, Museumspädagogik und Living History im Stile Guido Knopps lange noch nicht bewältigt zu werden. Jede Generation stellt neue Fragen – oder alte, die sie nicht befriedigend beantwortet finden. Für die Suche danach, ob die Anwesenheit der Vergangenheit in der Erinnerung greifbar werden kann, gibt es eine Spur: sich 9645 Kilometer auf den Pilgerweg zu machen.
(Für die dem Band beigegebene Karte wünschte man sich eine sensiblere Lösung als die hier gewählte eingeklebte Einstecklasche aus Plastik.)
Lurker Grand, André P. Tschan, Sam Mumenthaler (Hrsg.): Heute und Danach. The Swiss Underground Music Scene of the 80's. Edition Patrick Frey, 62,00 Euro
Satz: Prill Vieceli Cremers, Zürich (Schweiz)
Druck: Offsetdruckerei Karl Grammlich GmbH, Pliezhausen
Buchbindung: Lachenmaier GmbH, Reutlingen
Typografie/Gestaltung: Prill Vieceli Cremers, Zürich (Schweiz), Samuel Linder, Rosalien Eggermont, Natalie Rickert, Martina Brassel, Asa Frölander
Herstellung: Alberto Vieceli, Sebastian Cremers, Andrea Kempter / Edition Patrick Frey, Zürich (Schweiz), Daniel Grammlich, Regine Grammlich / Offsetdruckerei Karl Grammlich GmbH, Pliezhausen
ISBN: 978-3-905929-21-8
672 Seiten auf dünnem Papier, zur fadengehefteten Broschur gebunden, über Vor- und Nachsatz in einen Kartonumschlag von der Stärke einer dünnen Pappe gehängt mit offenem Rücken und fließendem Aufschlagverhalten – dies ist das technische Gerüst für ein Feuerwerk der Zeitdokumente in Essays, Erinnerungen, Interviews und Zitaten, Fotos, Faksimiles, Postern und Plattencovern. Simpler Satzspiegel, fette Univers, gestürzter und angeschnittener Kolumnentitel auf den Außenstegen – kaputt sozusagen –, fetzige Verteilung fetziger Bilder, hochkonzeptionelle Bildnumerierung, leuchtfarbige Verläufe – tja, Swiss Punk – genau so geht’s. Ein kulturhistorisches Kompendium des schweizerischen Underground der achtziger Jahre. Was können wir heute lernen? »Nachhaltige Unbekümmertheit«.
Inge Deutschkron: Sie blieben im Schatten. Ein Denkmal für »Stille Helden«. Butzon & Bercker, 24,95 Euro
Druck und Buchbindung: Königsdruck Printmedien und digitale Dienste GmbH, Berlin
Satz und Typografie/Gestaltung: Anne-Christin Jyrch, Torsten Köchlin, Berlin
Herstellung: Torsten Köchlin, Berlin
ISBN: 978-3-7666-1670-8
Die Jüdin Inge Deutschkron, Jahrgang 1922, erlebte die Kriegsjahre in Berlin. Seit Januar 1943 wohnte sie illegal mit ihrer Mutter bei nichtjüdischen Freunden und konnte so dem Holocaust entgehen. Deren Lebensgeschichte schreibt sie auf, und dieser Erinnerungsprozess an jene »stillen Helden« wird konzeptionell als Buch im Buch übersetzt. Man schlägt es auf und sitzt mit Inge Deutschkron am Schreibtisch – eine Assoziation, die durch den hellen warmgrauen Farbfond um das innere Seitenformat mit nüchternem Satzspiegel geweckt wird. Fotos, Dokumente werden zusammengetragen und erscheinen wie während des Erzählens beiläufig auf die Seiten gelegt. Beim Weiterblättern werden sie verdeckt, nur die Ränder der hervorstehenden Bilder bleiben sichtbar. Allein die Bildunterschriften stehen außerhalb des virtuellen Buchformates und verweisen auf die Metaebene, auf die der materielle Buchkörper gehoben wird. Das imaginäre Konvolut wird durch einen Einband in grobem Leinen gefasst. Der nur aufgedruckte, nicht geprägte Titel auf dem Einbandgewebe ist der bescheidenen Ernsthaftigkeit des Gegenstandes geschuldet. So, wie Inge Deutschkrons Helden nie heroisiert wurden, der Gang der Zeit sich über die Erinnerungsbilder hinweg bewegt, so erscheinen ihre Konterfeis in Passbildgröße auf der Einbandrückseite. Eine heikle gestalterische Aufgabe, dem Gedenken jenseits von Pathos und Betroffenheitssentimentalität eine Gestalt zu geben, führt hier in der Tat zu einem denkmalwürdigen Zustand in der Form eines Buches.
Emanuel Christ, Christoph Gantenbein, Victoria Easton (Hrsg.): Typology. Hong Kong, Rome, New York, Buenos Aires. Review N° II. Park Books, 58,00 Euro
Druck und Buchbindung: DZA Druckerei zu Altenburg GmbH, Altenburg
Typografie/Gestaltung: Typography Cabinet, Basel (Schweiz)
ISBN: 978-3-906027-01-2
Ein Lehrbuch für Architekten: die Typologie urbaner Bautenstrukturen am Beispiel von vier Metropolen. Sein Gebrauchswert zeichnet sich dadurch aus, dass die Buchgestaltung in ihrer ästhetischen und didaktischen Qualität die Untersuchungsmethode der Studie unter der Maxime der Vergleichbarkeit visualisiert. So erklären sich das Buchformat und der Konstrast von Kleinteiligkeit und Großzügigkeit – im typologischen Teil auf den rechten Seiten kompakte Information in geringem Schriftgrad als Konsultationsgröße mit untertourigem Zeilenabstand – und auf den linken Seiten die essenzielle Informationsquelle für den Architekten, luftig präsentierte Grundrisse der typischen Bauwerke. Im zweiten Teil des Buches sinkt das Auge des Betrachters durch eine üppige Strecke doppelseitig komponierter Fotografien in den Stadtbildern der besprochenen Großstäde: Lackmustest für die vorher ausgebreiteten Thesen. Nüchterne Informations- und opulente Schauwerte sind in dieser Publikation nicht zu trennen, und sie steigern die Evidenz dieses architekturwissenschaftlichen Unternehmens. Es ist ein Buch für Liebhaber rigider Ordnung und Reduktion, die dennoch nicht auf Fülle verzichten wollen. Erstes Indiz dafür ist das besondere Inhaltverzeichnis auf verkürztem Blatt: eine Synopse dieser ganzen Bauten-Typologie.
Lederer Ragnarsdóttir Oei: Lederer Ragnarsdóttir Oei 1. Jovis Verlag, 42,00 Euro
Druck und Buchbindung: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe
Satz und Typografie/Gestaltung: Kathrin Henze / Lederer Ragnarsdóttir Oei GmbH & Co. KG, Stuttgart
Herstellung: Jovis Verlag, Berlin
ISBN: 978-3-86859-199-6
Eine traditionelle Architektenmonografie – aber warum wirkt sie hier so frisch, so beruhigend und animierend zugleich? Also erstmal rechtsseitig die Schautafeln, also großzügige Fotografien, dann auf den linken Seiten knappe Projekttitel, Texte, Lagepläne, Schnitte oder Ansichten. Und nun die Verfeinerungen. Die Fotografien sind in anspruchsvoller monochromer Duplex-Reproduktion mit frequenzmoduliertem Raster wiedergegeben, das garantiert den Tonwert- und Detailreichtum. Nach Motiv und Wirkung sind die variierenden Bildgrößen in einen unkomplizierten Bildspiegel eingehängt – in Höhenkonkordanz mit dem linksseitigen Satzspiegel. Die Spaltenbreite gibt den Flattersatz vor, gewählt wurde eine Type mit technischer Anmutung. Alles andere als technisch sind die Maßnahmen zur Textgliederung. An der traditionellen Position zweizeiliger Initialen sind Miniaturen des jeweiligen Grundrisses mit kräftigem Schwarzwert gesetzt. Die Absätze im Text beginnen weder mit Einzug, noch nicht mal stumpf, sondern sind mit fetter Versalie markiert und fortlaufend angehängt: kein typografisches Mätzchen, sondern überraschendes Zitat des mittelalterlichen Ursprungs der Absatzdifferenzierung. Und die Verdoppelung der Lagepläne ist didaktischer Kniff: Das Bildinitial führt die Grundform des Baukörpers ein, der im zweiten Lageplan eingezeichnet ist. So verlocken die datierten Pläne zum Studium durch Vorher-Nachher-Vergleich. Fettfeinkontraste auf verschiedenen Ebenen, die das Papierweiß fast zum Leuchten bringen. Die Mittel der Buchgestaltung also scheinen die Haltung des Architekturbüros zu skizzieren – souverän, zeitgenössisch, detailbewusst und immer in aufmerksamer Beziehung zum Bestand.
Kategorie Kunstbücher, Fotobücher, Ausstellungskataloge
Mark Gisbourne, Hans-Werner Schmidt: Eros und Thanatos. Tagträume von Begehren und Erfüllung Zeitgenössische Kunst der SØR Rusche Sammlung im Dialog mit Alten Meistern. Lubok Verlag, 35,00 Euro
Druck: Thomas Siemon / carpe plumbum, Leipzig
Buchbindung: Buchbinderei Mönch OHG, Leipzig
Satz, Typografie/Gestaltung und Herstellung: Maria Magdalena Koehn, Leipzig/Berlin
ISBN: 978-3-941601-59-8
Groß, elfenbeinweiß, weich, dünn – und fast unschuldig wirkt der in ein spätbarockes Gewand gekleidete Druck. Beim Begreifen und Aufschlagen, schon gleich zu Beginn, zieht er die Hand magisch aufs Papier. Mit geschlossem Auge gleitet sie über die Seite – dann endlich der Seufzer: Buchdruck. Traditionelles Handwerk in Schrift- und Papierwahl, splendider Typografie und Drucktechnik. Die Goldprägung der Titelzeilen erinnern daran, als die Pracht der Weltweisheit sich in fürstlichen Folianten entfaltete. Technisch und ästhetisch also voll retro, was soll das? Das sehr grobe Raster der monochromen Abbildungen, wie aus der Frühe des Zeitalters der technischen Reproduzierbarkeit, versinnbildlicht den experimentellen und dokumentarischen Charakter des Unternehmens. Es stellt die Reihe zeitgenössischer Gemälde eines Sammlers vor. Dass es auf die historischen Formen gelehrter Trakate und repräsentativer Tafelwerke rekurriert, ist auch ironisches Zitat, vor allem aber leiht es sich von dort die Aura und erhebt die Verbindung der modernen Kunst und der neuen Texte mit Bezug zu alten Meistern zu einem eigenständigen künstlerischen Buchobjekt.
gta D ARCH Ausstellungen, ETH Zürich (Hrsg.): Buchner Bründler - Bauten. gta Verlag, 76,00 Euro
Satz: Ludovic Balland, Gregor Schreiter / Ludovic Balland Typography Cabinet, Basel (Schweiz)
Druck: Offsetdruckerei Karl Grammlich GmbH, Pliezhausen
Buchbindung: Lachenmaier GmbH, Reutlingen
Typografie/Gestaltung: Andreas Bründler , Daniel Buchner, Ludovic Balland, Basel (Schweiz)
Herstellung: Ludovic Balland, Gregor Schreiter, Basel (Schweiz), Daniel Grammlich, Regine Grammlich, Pliezhausen
ISBN: 978-3-85676-297-1
Schon der Einstieg in diese zu visueller Poesie geronnenen Architektenmonographie ist außergewöhnlich: Auf dem breiten Buchrücken lesen wir nicht nur den Titel, sondern auch den hierhin gestellten Waschzetteltext in der gleichen nüchternen, aber feingliedrigen Typographie, die das gesamte Buch trägt. Die Titelpägung über abstrakt monochromem Bildausschnitt auf dem Vorderdeckel ist elegant silbern unterlegt und kündet vom disziplinierten, aber extravaganten Geschmack von Architektur und Buch. Und auch die Möglichkeiten von Inhaltverzeichnissen wird erweitert: Hier erstreckt es sich über 29 Seiten, verbindet die unter Mottos zusammengefassten Inhaltsgrüppchen mit Interviews, und erhebt diesen für gewöhnlich schlicht funktionalen Bereich eines Buches regelrecht zur literarischen Gattung. Dies ist aber erst der Anfang. Das Buchkonzept hält die Präsentation der einzelnen Bauwerke möglichst textfrei, die Fotografien auf matt saugendem Papier – meist monochrom, manchmal farbsättigungsreduziert – hinterlassen ihre Eindrücke durch die kontemplative Inszenierung. Und zwischen den Projekten ein kaum größer denkbarer Kontrast: Auf Dünndruckpapier als Ausklappseiten laden die Kontruktionszeichnungen geradezu zur Werksspionage ein. Und das Buch hält dafür sogar noch ein Werkzeug bereit – ein Lesezeichen mit den Skalen der verschiedenen Maßstäbe. In den hinteren Buchteilen folgen Beschreibungen in Text und Lage- oder Detailplänen und die Vorstellung des Architekturbüros samt Mitarbeitern.
Katharina Gaenssler: Sixtina MMXII. Edition Minerva Der Kunsthandel Verlag GmbH, 35,00 Euro
Druck und Buchbindung: Kösel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell
Satz, Typografie/Gestaltung und Herstellung: Bernd Kuchenbeiser, München
ISBN: 978-3-943964-00-4
Diese Broschur dokumentiert das künstlerische Projekt der fotografischen Kartierung von Raffaels Sixtinischer Madonna und deren imaginärer Entrückung. Es geht um Nähe und Distanz, um die Frage danach, was mit einem Blick erfasst wird oder durch genaue Betrachtung an Rätselhaftigkeit gewinnt. Der Besucher fixiert schon das in Blickachse an der Stirnwand des letzten Museumsraumes präsentierte Gemälde. Diesen Blick aus der Ferne durch die Enfilade druckt die Künstlerin auf eine Leinwand von Raumgröße, die sie genau in diesen letzten Raum an Stelle der Madonna hängt. Die temporäre Installation wird wieder abgebaut – was bleibt, ist ein Buch. Ein Bilderbuch für Erwachsene. Man entdeckt das Buch der Entschleunigung; jedem Blick auf die Madonna ist eine Seite gewidmet. Mit den Augen ertasten wir die Bildtextur. Die Position der Pagina rückt mit jedem Blick und jedem Blättern auf den Seiten ein Stück weiter. Bilder lesen, Text lesen – hier wird Zeit geschenkt. »Bücher sind mein Gedächtis – Archive des Gesehenen und Empfundenen«, verrät die Künstlerin bereits auf dem Umschlag, der auch das Inhaltsverzeichnis trägt und die Publikation als Werkbericht charakterisiert.
Christian Lange: Lange Liste 79 - 97. Spector Books, 42,00 Euro
Druck und Buchbindung: DZA Druckerei zu Altenburg GmbH, Altenburg
Satz und Typografie/Gestaltung: Christian Lange, München
ISBN: 978-3-940064-51-6
Das Buch »Lange Liste« von Christian Lange besteht eigentlich nur aus den Auflistungen der Ausgaben aus den Haushaltsbüchern seiner Mutter, von 1979 in DDR-Zeiten beginnend bis 1997. Was das Buch so besonders macht, ist seine reduzierte Gestaltung. Die Listen sind wie lange Kassenzettel typografiert, künden aber freilich von eklatanter Sparsamkeit. Illustriert mit in die Listen eincollagierten Fotos hat das Buch eine tolle Haptik – Papierwahl, Verzicht auf Farbe und statistischer Anhang geben einen überzeugenden Nachgeschmack von Alltagsbewältigung unter restriktiven Umständen. Der konzeptkünstlerische Einblick in ein privates Leben im deutschen real existierenden und nicht mehr existierenden Sozialismus gerät zu einer soziologisch inspirierten Studie; die Listen können quasi als Tagebücher gelesen werden. Schlicht, charmant, schön: ein großartiges Dokument der Zeitgeschichte.
Tomasz Gudzowaty: Keiko. Hatje Cantz Verlag, 45,00 Euro
Illustrationen: Jan Scheffler / prints professional
Druck: Offsetdruckerei Karl Grammlich GmbH, Pliezhausen
Buchbindung: Lachenmaier GmbH, Reutlingen
Satz und Typografie/Gestaltung: Marek Mielnicki, Warschau (Polen)
Herstellung: Nadine Schmidt / Hatje Cantz Verlag, Ostfildern
ISBN: 978-3-7757-3521-6
Immer wieder erstaunlich: die Farbe Schwarz. Von welchem Reichtum an Nuancen, Kolorit und malerischer Qualität das vermeintliche Fehlen von Buntigkeit sein kann. Auch dieses fotografische Projekt widerlegt in der vorliegenden Buchform den Augenschein der landläufigen These: schwarzweiß gleich grafisch. Die Ausstattung: Steifbroschur mit schwarzem Geweberücken. Transparent glänzende Rückenprägung. Dicke Deckenpappen ohne Einschlag und Stehkante. Dreiseitiger Farbschnitt Schwarz über Buchblock inklusive Deckenkante. Loses Vorderscharnier zum perfekten 180-Grad-Aufschlagen. Schwarzes Vor- und Nachsatz. Zweifarbiger Druck der kontrastreichen Fotografien, Duplex Schwarz und Schwarz glänzend. Und was passiert mit den Bildern? In den Dreivierteltönen, gar in den schwärzesten Zonen differenzieren sich noch sichtbar, oder gerade noch wahrnehmbar die Formen, Reproduktions- und Drucktechnik werden zu Siegeln des Sinns der fotografischen Bildsprache. Um was geht es? Um den Koloss eines Schiffswracks, Rost, Dreck, Schweiß, Schlamm, nackte Füße, Kilotonnen Gewicht und Muskelkraft – Dekonstruktion von Stahl und Körpern. So unmittelbar wie hier wird der Betrachter selten mit einem Farbspektrum gereizt.
Kategorie Kinderbücher, Jugendbücher
Lamya Kaddor, Rabeya Müller: Der Islam. Für Kinder und Erwachsene. Verlag C.H. Beck, 19,95 Euro
Satz: Fotosatz Reinhard Amann, Aichstätten
Druck und Buchbindung: Kösel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell
Typografie/Gestaltung und Herstellung: Konstanze Berner / Verlag C.H. Beck, München
ISBN: 978-3-406-64016-2
Hat die Aufklärung ihr Maximum erreicht, oder wieviele religiöse Gefühle verträgt eine säkulare Gesellschaft? Die Religionsfreiheit wird durch die Trennung von Staat und Kirche versprochen. Aber wie gut wir die Religionsfreiheit praktizieren, hängt natürlich auch davon ab, wie gut wir die Religionen kennen. Hier hilft nun ein Propädeutikum zum Islam, das mit völlig unverkrampften, aber akribisch recherchierten Illustrationen in sonnigem Kolorit als Kinderbuch ausgestattet ist. Der Text steht auf theologisch ausgewiesenem Fundament – typografiert in traditionellem Satzspiegel, die Kapitelüberschrift, Zwischenüberschrift, Spitzmarke und Paginierung in ziegelfarbiger Handletteringtype, die Bilder mal als Vignette von Formsatz umgeben, mal als szenische Illustration, mal als aufwendiges Diagramm mit handfester Sachinformation, mal als Schlussvignette. Buchtypografisch innovativ ist hier nichts – innovativ hingegen, dass die pädagogischen Energien eines Kinderbuches besonders für die Großen nutzbar gemacht werden – wie es in der Unterzeile heißt: Für Kinder und Erwachsene. Ein Beitrag der Aufklärung zu mündiger Toleranz und nicht zu stillschweigender Duldung. Haben wir auch so einen schönen Katechismus?
Einar Turkowski: Als die Häuser heimwärts schwebten... Erzählbilder von Einar Turkowski. mixtvision Mediengesellschaft, 16,90 Euro
Illustrationen: Einar Turkowski
Druck und Buchbindung: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe
Satz, Typografie/Gestaltung und Herstellung: Anke Elbel, München
ISBN: 978-3-939435-48-8
Ein kinderphilosophisches Bilderbuch? Es hat die Form eines klassischen Kinderbuches: großes breites Format, schweres festes Papier, eleganter haltbarer Halbleineneinband, matte kratzfeste Folienkaschierung. Weniger klassisch ist die Bildstrategie: Zehn doppelseitige surreale Szenerien sind fein mit dem Bleistift konturiert, mit großem Tonwertreichtum gefüllt und dezent mit gegensätzlichen Begriffspaaren unterschrieben. Im freqenzmodulierten Raster reproduziert, sind die Bilder eigentlich schon faksimilierte Drucke – daher die zurückhaltende Billanz auf dem matten Papier, die die Betrachter, »Kinder und ihre Erwachsenen«, trotz – oder wegen? – des Fehlens von Farbe in eine forschende und fabulierende Stimmung versetzt. Die Geschichten dazu entwickeln und erzählen die Betrachter selbst, sie holen sie aus dem Bild heraus und tragen sie gleichzeitig in das Bild hinein, weil die geheimnisvollen Bilder Fragen provozieren. Das Surreale hat immer eine reale Form, sei es im Bild, sei es sprachlich. Genau dies macht das Buchige am Buch aus: Das stehende Bild, ja selbst der stehende Text bringt die Gedanken in Bewegung: »Sind es wohl gute Träume, die der Fuchs bewacht?« Und wen interessiert die Diplomnote in der Notiz über den Künstler?
Katrin Wiehle: Mein kleiner Wald. 100% Naturbuch. Beltz & Gelberg, 8,95 Euro
Illustrationen: Katrin Wiehle, Springe
Druck und Buchbindung: Sachsendruck Plauen GmbH, Plauen
Satz und Typografie/Gestaltung: Katrin Wiehle, Springe
Herstellung: Julia Rissler, Stuttgart
ISBN: 978-3-407-79496-3
Das Buch für Kinder ab drei Jahren lädt ein zu einem Besuch im Wald. Die Illustrationen zeigen goldige Protagonisten – einen freundlichen Fuchs, einen aufmerksamen Dachs und ein neugieriges Eichhörnchen. In sparsamen Worten wird das Erleben im Wald beschrieben – Bäume mit ihrem vielgestaltigen Laub, Früchte und andere Leckereien und weitere Kollegentiere. Aber was daran ist hundert Prozent Naturbuch, wie der Slogan auf dem Umschlag verspricht? Die braune Recyclingpappe aus der riesigen Papierfabrik? Die trüben Ökofarben aus der Lagerhalle mit Blechdosen? Das Buch bezaubert durch die liebenswürdig stilisierten Figuren, die Kompositionen und die Spannung durch Kontraste – groß/klein, Fläche/Struktur, Pflanze/Tier. Der größte Kontrast aber ist der entscheidende: nämlich derjenige zwischen dem ganzen visuellen Mattigkeitsduktus des Büchleins und dem Knalligen, Schrillen, Glänzenden, Reißerischen, Gekünstelten unserer täglichen Umwelt, die wir uns ja schließlich selbst erschaffen. Das Lehrstück dieser erdigen Zimelie ist es, dass wir unsere ästhetischen Präferenzen als Konditionierungen erkennen. Die Verbindung von Werten und ihren Repräsentationen ist keine universale Gegebenheit, sondern sie ist eine kulturell-ökonomische Übereinkunft. Nachhaltigkeit – man kann's ja schon fast nicht mehr hören – beginnt hier an der pädagogisch ergiebigen Stelle: im Kinderbettchen, kurz vorm Schlafengehen. Eine kurze Gutenachtgeschichte, erzählt in Futuraversalien – wenn das nicht zukunftverheißend ist?
Karin Gruß, Tobias Krejtschi: Ein roter Schuh. Boje Verlag in Bastei Lübbe Verlag, 12,99 Euro
Illustrationen: Tobias Krejtschi
Satz: F. v. Wissel / hoop-de-la-design, Köln
Druck und Buchbindung: Himmer AG Druckerei, Augsburg
Typografie/Gestaltung: Paula Peretti
Herstellung: Yvonne Schlittlinden
ISBN: 978-3-414-82341-0
Ein mutiges Kinder- und Jugendbuch, in aufregenden Bildkompositionen gezeichnet. Das Blut des Krieges bestimmt hier nicht brachial die Szene, sondern wird durch die Metapher des roten Turnschuhs angedeutet. Leben und Tod, es kann jeden unvermittelt treffen, werden in dem schmalen Band ohne die Frage nach den Schuldigen gezeigt. Größeren Seitenumfang würde man wohl kaum Ertragen. Leider: Für die intensiven Kreidezeichnungen auf deutlich strukturiertem Grund wäre ein offenporiges Papier angemessener. Die Doppelseite des Innentitels ist zu weiß, sie blendet im Kontext der dunkeltonigen Bilder. Eine haptischere Ausstattung hätte den Inhalt des Buches gut unterstützt. Trotz dieser Mängel findet das Buch eine Auszeichnung, weil die Geschichte überwältigend ist und ebenso überwältigend zeichnerisch umgesetzt wurde.
Stefanie Harjes: Von Meerjungfrauen, Kapitänen und fliegenden Fischen. Geschichten und Gedichte rund ums Wasser. Boje Verlag in Bastei Lübbe Verlag, 19,99 Euro
Herausgegeben von Renate Raecke
Illustrationen: Stefanie Harjes
Druck und Buchbindung: Himmer AG Druckerei, Augsburg
Satz und Typografie/Gestaltung: Florian von Wissel / hoop-de-la-design, Köln
Herstellung: Silvia Menczykalski / Bastei Lübbe Verlag, Köln
ISBN: 978-3-414-82282-6
Eine reichhaltige Anthologie mit über 70 Geschichten und Gedichten rund ums Wasser, eingebunden in eine Halbgewebedecke mit dem anregend rotschillernden zweifarbigen Gewebe – einer schönen Parallelführung zur Sardinenjungfrau auf der Titelillustration. An der kringeligen Handschrift des Titels ahnt man schon etwas von der Quirligkeit, mit der sich so allerlei im Wasser tummelt – und so kommt es dann auch. Eine reichhaltige surreale Fauna erwartet uns im Inneren, eine Reise durch Untersee und Übersee. Die collagierten, gezeichneten, hingetuschten, numerierten gestempelten offenen Bilder verselbständigen ihr Eigenleben derart, dass bald umgekehrt die Texte zur Illustration geraten. Man möchte es ihr glauben: Hat die Illustratorin wirklich Schwimmhäute zwischen den Fingern?
Förderpreis für junge Buchgestaltung 2013
Joachim Baldauf, Ursula Zillig, Annette Geiger (Hrsg.): Untragbar. Eine Publikation der Hochschule für Künste Bremen. Textem Verlag
Design: Nadja Barth, Eike Harder, Marion Kliesch, Bremen
Anna Lena von Helldorff (betreuende Professorin), Leipzig
ISBN: 978-3-86485-038-7
Design: Fabian Wohlfart
Design: Franziska Burkhardt, Zürich
ISBN: 978-3-85881-356-5